Kategorie Innovation & Technologie - 28. August 2015

Autonome Autos: Lesen statt lenken?

Es ist eine verlockende Vorstellung: Wir setzen uns ins Auto und lassen uns ganz bequem vom digitalen Privatchauffeur ans Ziel fahren. Kein Ärger im Stop-and-go-Verkehr vor einer Baustelle, kein lästiges Parkplatzsuchen, keine Diskussionen mit dem nervösen Beifahrer über die Geschwindigkeit. Wir lesen auf dem Tablet ein gutes Buch, surfen im Internet oder schlafen eine Runde. Geht es nach den Visionen der Automobilhersteller und Technologieunternehmen, dann werden in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr die Menschen, sondern komplexe Computersysteme die Fahrzeuge der Zukunft lenken.

Der Computerwissenschaftler Manfred Tscheligi befasst sich im Christian-Doppler-Labor Contextual Interfaces gemeinsam mit dem Autozulieferunternehmen Audio Mobil schon heute mit Fragen, was passiert, wenn wir im Auto mehr lesen als lenken. Tscheligi ist Leiter des Centers of Human-Computer Interaction der Uni Salzburg und des Departments Technology Experience am Austrian Institute of Technology (AIT). Er leitete am Freitag bei den Alpbacher Technologiegesprächen den Arbeitskreis über Technologien, die menschliche Fähigkeiten erweitern sollen.

Im Zentrum steht stets die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Ganz so einfach ist es nämlich nicht, wenn Roboter das Steuer übernehmen. Das beginnt bei der Frage, wie diese autonomen Autos überhaupt aussehen werden. Braucht es dann noch ein Lenkrad? Gibt es ein herkömmliches Armaturenbrett oder einfach einen Touchscreen? Wie schaut es mit der Haftung aus? Und wie mit der Akzeptanz autonomer Autos durch die – ehemaligen – Lenker?

Kontrolle abgeben ist schwer

Für Tscheligi ist klar, dass es immer eine Möglichkeit geben muss, dass der Mensch in das System eingreifen kann. Es ist ja nicht auszuschließen, dass der digitale Chauffeur in schwierigen Situationen doch überfordert ist und der Mensch das Steuer übernehmen muss. „Wir befassen uns sehr intensiv mit der Frage, wie diese Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine aussehen muss“, sagt Tscheligi zur „Presse“. Schließlich ist der Straßenverkehr ein komplexes Geschehen. Wenn jemand im Auto geschlafen hat, braucht er einige Sekunden, bis er in der Lage ist, die Situation zu erfassen.

Die Forscher simulieren in Testautos mit Assistenzsystemen der Zukunft, wie diese Hand-over-Situationen am besten bewältigt werden können. Sie untersuchen, wie der digitale Lenker den realen Lenker alarmiert, welche Informationen weitergegeben werden müssen und wann der Informationstransfer stattfinden soll.

Dabei geht es nicht nur um technische, sondern vor allem um psychologische Themen. Selbst wenn man sich das autonome Auto in der Theorie als etwas Tolles vorstellt, kann die Emotion schnell in Angst und Panik umschlagen, wenn man sich plötzlich dem digitalen Chauffeur ausliefern soll. „Es ist eine große Hürde, die Kontrolle an ein autonomes System abzugeben“, weiß Tscheligi. Deshalb müsse man bei der Entwicklung überlegen, welche Übergänge diesen Kontrollverlust für den Fahrer leichter machen.

Eine aktuelle Untersuchung hat gezeigt, dass die Akzeptanz steigt, je mehr die Assistenz als Unterstützung und weniger als Eingriff in das eigene Verhalten empfunden wird. Die Lenker von heute können sich mit Fahrerassistenzsystemen wie dem automatischem Spurhalten, dem Parkassistenten oder einem Abstandshalter durchaus anfreunden. Gegenüber komplett selbstfahrenden Autos herrscht aber noch große Skepsis.

Menschlich ist auch, dass man das Autofahren bei wenig oder keiner Übung schnell verlernt. Wenn die meiste Zeit der digitale Chauffeur am Steuer sitzt, wird es für den menschlichen Fahrer gerade in schwierigen Situationen immer riskanter, selbst wieder die Kontrolle zu übernehmen. Für Tscheligi ist deshalb klar: Der Autofahrer der Zukunft wird regelmäßige Trainings absolvieren müssen – ähnlich wie es heute für Piloten selbstverständlich ist.

Maschine wird nicht abgelenkt

In einem Punkt ist der digitale Lenker auf jeden Fall überlegen: „Menschen lassen sich leicht ablenken“, betont Tscheligi. Nicht nur andere Personen, die im Auto sitzen, haben Ablenkungspotenzial, sondern auch die moderne Technik: Smartphones, Tablets, Navi, Bordcomputer. Wer in sein Navigationsgerät ein Ziel eingibt und dieses am Monitor sucht, hat seine Augen eine halbe Minute auf dem Monitor – und nicht auf der Straße.

Studien von Tscheligis Team ergaben, dass der Fahrer im Durchschnitt 50 Prozent der Zeit nicht auf die Straße schaut. Die Eigenwahrnehmung der Probanden war eine andere: Alle sagten von sich, nicht abgelenkt zu sein. Dabei geht es nicht nur um visuelle Ablenkung, sondern auch um die mentale und emotionale. „Über zwei Sekunden Blickabweichung ist gefährlich“, warnt er. Die Sensoren und Scanner des digitalen Chauffeurs lassen sich von Facebook nicht ablenken – oder von emotionalen Telefongesprächen.

Beifahrer als Navi-Hilfe

Die Salzburger Forscher sehen sich auch ganz genau die Interaktion in einem Fahrzeug an. Als teilnehmende Beobachter haben sie Familien auf langen Autofahrten begleitet und das Gesamtsystem unter die Lupe genommen.

Man dürfe das Potenzial, das alle Insassen zur Unterstützung des Fahrers haben, nicht unterschätzen, betont Tscheligi. Dieses Potenzial könne, wenn man entsprechende technische Möglichkeiten zur Verfügung stelle, genützt werden. Aus dem nervenden Beifahrer, der alles besser weiß, wird mit moderner Kommunikationstechnologie eine Hilfe für den Lenker.

Während sich der Fahrer auf die Nähe konzentriert, kann sich der Beifahrer beispielsweise auf die Vorausschau fokussieren. „Die Informationsflut ist für den Fahrer eigentlich nicht bewältigbar“, weiß Tscheligi. Mit den entsprechenden Displays und Eingabegeräten ist es leichter, die Rolle des Kopiloten zu übernehmen, sagt der Wissenschaftler. Eines ist für ihn aber sicher: Bis die selbstfahrenden Autos unseren Straßenverkehr dominieren, werden noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ins Land ziehen. Bis dahin werden aber immer mehr digitale Assistenten Teilbereiche des Autos erobern. (Von Claudia Lagler, Die Presse)