Kategorie Innovation & Technologie - 25. Februar 2016

Autonome Autos: Vom Fahrer zum Passagier


APA/Volvo

Abgesehen vom wahrscheinlich nahenden Ende des Verbrennungsmotors steht das Fortbewegungsmittel Automobil mitten in seiner bisher einschneidendsten Weiterentwicklung. Das selbstfahrende Auto, das ohne menschliches Zutun durch die Straßen navigiert, ist auf der Überholspur. Technisch und rechtlich gibt es noch viele Hürden zu bewältigen, aber der menschliche Fahrer wird zusehends zum Passagier.

Fahrt aufgenommen hat das Thema vor allem, seit der Technologiekonzern Google entschieden hat, Roboter-Autos zu bauen. 2010 war bereits eine Testflotte im Straßenverkehr Kaliforniens unterwegs, 2012 erhielten die selbstfahrenden Autos freie Fahrt auf den Straßen des amerikanischen Wüstenstaats Nevada. Als Start für den Massenmarkt hat Google-Mitgründer Sergey Brin bereits 2017 als Ziel für die USA angegeben. Das hat die Autokonzerne unter Zugzwang gebracht, mittlerweile arbeiten die großen Hersteller unter Hochdruck daran, ihre autonomen Fahrzeuge in die Spur zu bringen und Google zu überholen.

Revolution und Evolution

Rund um das autonome Fahrzeug sieht Philippe Nitsche vom Mobility Department des Austrian Institute of Technology (AIT) derzeit zwei parallel verlaufende Entwicklungen, wenn man so wolle – eine gleichzeitige Revolution und Evolution: „Dass nun IT-Firmen wie Google oder Apple, die vorher nichts mit dem Autobau zu tun gehabt haben, auf dem Automobilmarkt mitmischen, das ist für mich der revolutionäre Ansatz, weil die autonome Fahrzeuge von Grund auf neu bauen.“ Andererseits gebe es nun einen weiteren Evolutionsschritt zum autonomen Fahrzeug, der von den traditionellen Autoherstellern angegangen wird, der im Grunde aber bereits vor Jahrzehnten mit der Einführung des Antiblockiersystems (ABS) Systems oder dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) begonnen hat und nun mit Fahrerassistenzsystemen wie Einparkhilfen, Spurhalte- und Notbremsassistenten oder automatischer Distanzregelung seine Fortsetzung findet.

In Europa und den USA werden sechs Stufen des autonomen Fahrens (auch SAE-Stufen) unterschieden: von der Stufe 0 („Driver only“, der Fahrer fährt selbst, lenkt, gibt Gas, bremst etc.); „Assistiert“ (1) und „Teilautomatisiert“ (2) über „Hochautomatisiert“ (3) bis „Vollautomatisiert“ (4) und „Fahrerlos“ (5). Hochautomatisiert bedeutet demnach etwa, dass das System „Längs- und Querführung in einem spezifischen Anwendungsfall“ übernimmt sowie „Systemgrenzen erkennt“ und den Fahrer zur „Übernahme mit ausreichender Zeitreserve“ auffordert. Im vollautomatisierten Betrieb kann das System „im spezifischen Anwendungsfall“ und in der SAE-Stufe 5 „alle Situationen“ automatisch bewältigen.

Technologische Herausforderungen

Im Moment gibt es auf dem Weg zum „vollautomatisierten“ bzw. „fahrerlosen“ Auto noch viele technologische Herausforderungen, die in Griff zu kriegen sind. Die Technik der (teil-)autonomen Fahrzeuge basiert zu einem großen Teil auf Sensoren und Kameras, die die Umgebung erfassen. Diese Daten müssen in Bruchteilen von Sekunden verarbeitet werden und Algorithmen sofort „entscheiden“, was in welcher Situation zu tun ist. Weitere Herausforderungen sind laut AustriaTech, der Tochtergesellschaft des Infrastrukturministeriums (BMVIT) zum Beispiel noch die Vernetzung von Fahrzeugen mit der Fahrzeug- und der öffentlichen Infrastruktur, die Umfeldinterpretation, das Datenmanagement im Fahrzeug (z.B. Datensicherheit), Steuerung und Regelungen für Assisted Driving (z.B. Übergang zwischen gelenkt und automatisiert; Roboterethik, lernende Fahrintelligenz) oder die Interaktion mit dem Fahrer.

Wegen dieser komplexen Anforderungen und noch ungeklärten Rechts- und Haftungsfragen geht man davon aus, dass zumindest in Europa die ersten Einsätze solcher Fahrzeuge ungefähr ab 2020 zunächst auf dem hochrangigen Straßennetz ohne Gegenverkehr und Straßen erfolgen werden, wo leicht erkennbare Strukturen für die Navigation vorherrschen. „Es ist ein relativ offenes Geheimnis, dass die Fahrzeuge dann alle auf relativ kontrollierten Bereichen fahren werden – wie Autobahnen, Schnellstraßen und selten in den urbanen Raum eindringen werden“, sagte Stefan Seer, der im Mobility Department des AIT auf „Dynamic Transportation Systems“ spezialisiert ist. Laut Experten könnte das in der Praxis in den ersten Versionen dann so aussehen, dass der Fahrer sich auf der Autobahn von seinem Auto kutschieren lässt, unterdessen E-Mails checkt oder liest, und vor der Autobahnabfahrt vom Bordcomputer wieder aufgefordert wird, zu übernehmen.

Spezifische Situation in Städten

In Städten kommen noch spezielle Umstände hinzu, weiß Philippe Nitsche: „Im Stadtbereich ist das schon anders als auf hochrangigen Straßen. Das Straßenbild ist viel komplexer, es gibt mehr Faktoren, die die Umfeldsensoren der Fahrzeuge an ihre Grenzen bringen – wie ein Verkehrsteilnehmer der plötzlich die Straße überquert, Abschattungen an Gebäuden, parkende Autos.“ Am AIT sei daher das Erkennen der Straße und der Verkehrsteilnehmer, aber auch die Prognose von deren Bewegungsrichtung, ein aktuelles Forschungsthema.

Ob Autos untereinander, oder in Interaktion mit der Infrastruktur: Eine zentrale Schaltstelle der Forschung ist die Kommunikation und der Austausch von Daten. „Man spricht da oft von der Erweiterung des elektronischen Horizonts, wie also die Infrastruktur das Fahrzeug unterstützen kann und zum Beispiel Daten schickt“, erläuterte Nitsche. Im Falle einer unübersichtlichen Kreuzung könnten straßenseitige Sensoren die Trajektorien der ankommenden Fahrzeuge beobachten und diese an die Fahrzeuge weitergegeben, sobald sie sich annähern. „So kann man quasi um die Ecke schauen“, sagte der Infrastruktur-Experte.

Simulation des Gesamtverkehrs

Aber auch Simulationen helfen Forschern dabei, zukünftige Szenarien mit autonomen Fahrzeugen abzuschätzen, etwa „wie man dann das multimodale Verkehrssystem neu ausrichten muss, um den Potenzialen der Technologie gerecht zu werden“, wies Seer auf ein „sehr aktives Forschungsfeld“ am AIT hin. So versucht man, das Gesamtverkehrssystem zu simulieren und verschiedenste Szenarien durchzuspielen, auch um Stadtplanern und Entscheidungsträgern Planungsgrundlagen und Daten zu liefern. „Zum Beispiel, wenn man in eigenen Bereichen mehr Infrastruktur für Fahrradfahrer zur Verfügung stellt oder den öffentlichen Verkehr stärkt, was heißt das dann für eine gesamte Stadt“, umriss Seer ein solches Szenario.

Am AIT nähert man sich dem autonomen Fahren quer über die Abteilungen aus den verschiedensten Perspektiven an. In Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern werden Aspekte wie „Safety und Security“, die Interaktion Mensch-Maschine, Mobilitätskonzepte und Nutzerverhalten bis zu Fragen der Infrastruktur und Fahrzeugtechnik untersucht. Dazu zählen auch internationale Kooperationen, etwa mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT).

So zielt das vom MIT Media Lab entwickelte „Persuasive Electric Vehicle“ darauf ab, das Mobilitätsverhalten von Personen in urbanen Räumen zu ändern. „Das autonome, elektrisch angetriebene Tricycle ist selbstfahrend, umweltfreundlich und in einem Sharing-System nutzbar“, erklärt Seer: „AIT Mobility dockt an diesen Entwicklungen an und kooperiert mit dem MIT Media Lab im Rahmen des Projekts Persuasive Urban Mobility, um Strategien zu erforschen, die Menschen nachhaltig dazu motivieren, auf das Fahrrad umzusteigen.“

Doch die vollautonome Autozukunft scheint noch fern. „Man muss generell davon ausgehen, dass es in naher Zukunft einen Mischverkehr geben wird, eine Mischung aus autonomen Fahrzeugen und herkömmlichen Verkehrsteilnehmern. Dieser Mischverkehr ist zum jetzigen Zeitpunkt ein großes Forschungsthema: Wie kann man ein optimales Zusammenspiel zwischen nicht-autonomen und autonomen Verkehrsteilnehmern erzielen“, steht dabei laut Nitsche im Zentrum des Interesses.

„Connected cars“ für Asfinag aktueller

Asfinag-Vorstand Alois Schedl zeigte sich im November des Vorjahres im Rahmen des Austrian Research and Innovation Talk in San Francisco überzeugt, dass „völlig autonomes Fahren nicht so schnell kommen wird“. Die Frage aus Sicht der Autobahngesellschaft sei, was solche Kfz brauchen und wie die Straßengesellschaft davon profitieren könne. Als erste Stufe auf dem Weg zu selbstfahrenden Autos und derzeit viel aktueller sieht Schedl sogenannte „connected cars“, also Fahrzeuge, die klassisch gelenkt werden, aber miteinander kommunizieren und etwa vor Gefahrenstellen warnen. „Da wäre es wichtig, dass nicht nur ein BMW dem anderen erzählt, was auf der Straße los ist, sondern dass auch wir das erfahren“, um diese Informationen an alle Verkehrsteilnehmer weitergeben zu können, so Schedl.

Völlig autonomes Fahren wird nach Ansicht Schedls „zunächst einmal für Stop- and Go-Verkehr mit maximal 50 bis 60 km/h“ infrage kommen, später werde es sicher auch schneller gehen. Entscheidend dabei sei natürlich die Verkehrssicherheit, und in diesem Zusammenhang wiederum der Mix der Autoflotte aus selbstfahrenden und klassischen Fahrzeugen und wie sich Verkehrsteilnehmer dabei verhalten. Zu klären seien auch die diversen Standards, etwa für die Kommunikation. „Zum Beispiel ist die Mautfrequenz sehr ähnlich zu jener, mit der connected cars miteinander kommunizieren“, sagte der Asfinag-Chef.

Aktionsplan Automatisiertes Fahren

Es war ein bemerkenswerter, wohl historischer Schritt, als vor kurzem die US-Verkehrssicherheitsbehörde auf eine Anfrage von Google hin festgestellt hat, dass Computer grundsätzlich als Fahrer anerkannt werden können. Zugleich schränkte die NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) aber auch ein, dass das aktuelle Regelwerk an vielen Stellen eindeutig Menschen am Steuer und entsprechende Kontroll-Mechanismen wie Pedale voraussetze.

In Österreich ist das Thema freilich noch lange nicht so weit gediehen, an den Rahmenbedingungen muss aber schon jetzt gefeilt werden. Um für die raschen Entwicklungen auf dem Gebiet des autonomen Fahrens gerüstet zu sein, hat das BMVIT die Erarbeitung eines entsprechenden Aktionsplan initiiert, der im April 2016 stehen soll. Automatisiertes Fahren sei nicht nur ein technologisches Thema, man müsse sich auch mit Datenschutz, Haftungsrecht und ethisch-moralischen Aspekten auseinandersetzen. Herzstück des Prozesses sind vier Arbeitsgruppen, die sich mit den Themen „Rechtliche Rahmenbedingungen und Testinfrastrukturen“, „Systemkompetenz und Systemarchitektur“, „Use Cases“ sowie „Digitale Infrastruktur“ auseinandersetzen. Beteiligt daran sind neben dem BMVIT weitere Stakeholder wie das AIT, die Asfinag und das Technologieunternehmen TTTech.

„Aus den bisherigen Treffen kann man sagen, dass für die österreichischen Stakeholder die gemeinsame Betrachtungsweise von automatisiert, vernetzt und elektrisch die richtige Herangehensweise ist“, teilte AustriaTech auf Anfrage von APA-Science zum Zwischenstand mit. „Neben der Schaffung der rechtlichen Möglichkeiten, am heimischen Straßennetz neue Systeme und Komponenten (Hauptsächlich SAE-Stufe 3 und 4) zu testen, erproben und zu validieren, sollen auch mehrere ‚Kooperative Testumgebungen‘ (Living Labs) am heimischen Straßennetz aufgebaut und etabliert werden“, so AustriaTech. Ziel dieser Testumgebungen ist neben dem systematischen Testen und Validieren von Produkten, Komponenten, Fahrzeugen und Services etwa ein „gebündelter Kompetenzaufbau z.B. rund um Automobil-Cluster (Oö, Stmk, Wien)“.

Teststrecke geplant

Solche Teststrecken hat bereits der ehemalige Infrastrukturminister Alois Stöger im Vorjahr bei den Technologiegesprächen in Alpbach angekündigt. Geht es nach steirischen Interessensvertretern, allen voran der Autocluster AC Styria, dann soll die Steiermark die erste diesbezügliche Modellregion Europas werden. Dazu brauche man „einen Streckenabschnitt zum Test für autonome Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehrsnetz“, forderte etwa der steirische Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann.

„Seitens der zuständigen Stellen auf Bundes- und Landesebene wurde uns für Sommer 2016 signalisiert, dass ab diesem Zeitpunkt teilautomatisierte Fahrzeuge (SAE-Stufe 3) unter definierten Rahmenbedingungen auf definierten Straßen im öffentlichen Verkehr teilnehmen werden können“, bestätigte Jost Bernasch, Geschäftsführer des K2-Kompetenzzentrums Virtual Vehicle (ViF) gegenüber APA-Science (siehe auch Interview) zumindest den Zeitplan. „Wir sehen es sehr positiv, dass die Behörde mit Hochdruck daran arbeitet, die dafür notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen“, so Bernasch.

Asfinag-Chef Schedl meldet für die geplante Teststrecke jedenfalls bereits Wünsche an: „Es wäre gut, sich auf Bereiche zu konzentrieren, wo es Stau gibt und Probleme etwa im Winter, denn es wird auch entscheidend sein, wie sich selbstfahrende Autos bei unterschiedlichen Wetterverhältnissen wie Nebel oder Schnee verhalten.“

Autonome Autos in den Städten

Die urbane Mobilität der Zukunft wird aber nicht nur von technischen Fragen getrieben. Die insgesamt stark wachsenden Städte und Ballungsräume sehen sich immer mehr mit Platzproblemen konfrontiert. Und auch Autos, ob autonom oder nicht, brauchen sehr viel Platz. „In 100 Autos sitzen in Wien im Schnitt 128 Personen. Dagegen kann eine Straßenbahn rund 200 Personen transportieren, eine S-Bahn oder U-Bahn rund 800 Personen“, erklärte der Sprecher des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) gegenüber APA-Science.

Wobei in einem ausgeklügelten System mit autonomen Straßenfahrzeugen auch dieses Problem in den Griff zu kriegen wäre, sind sich Experten sicher. „Ein großer Punkt werden sicher auch die Parkflächen sein. Man kann davon ausgehen, wenn man autonome Fahrzeuge hätte, dass die dann wirklich nur in Mobilität verwendet werden, die Autos dann also wirklich auf der Straße unterwegs sind und nicht stehen“, sagt Stefan Seer vom AIT. „Man weiß aus Untersuchungen, dass 90 bis 95 Prozent der Zeit das Auto nur steht und nicht verwendet wird. Da lässt sich schon einiges an Flächen gewinnen.“ Zwar müsse man mit Prognosen vorsichtig sein, aber Sharing-Konzepte wie Uber würden eine immer wichtigere Rolle spielen. Im Zusammenhang mit dem autonomen Fahrzeug müsse man Mobilität gleichzeitig immer stärker auch als Service verstehen.

VCÖ: Fahrerlose Öffis vorzuziehen

Fahrerlose Systeme sind für Gratzer in den Städten wegen der eigenen Infrastruktur bei Schienenfahrzeugen dennoch leichter umzusetzen und werden bei U-Bahnen aus heutiger Sicht Standard werden. Ganz im Unterschied zu den Straßen, schränkt der Experte ein: „Neben den zahlreichen, noch ungelösten Fragen in der Umsetzung im Straßenverkehr, stellt sich auch die Frage, ob die Menschen dieses System annehmen – selbst die Automatikschaltung hat sich in Österreich nicht durchgesetzt.“

Das System weise noch eine Menge an Schwachstellen auf, warnt Gratzer: „Es ist leicht zu hacken, die Gefahr des Datenschutzmissbrauchs ist groß, es kommt eine weitere Abhängigkeit in die Mobilität rein, das System ist leicht verwundbar – mit fatalen Folgen nicht nur für die Mobilität, sondern auch für die Wirtschaft.“

Von Mario Wasserfaller / APA-Science

Service: Diese Meldung ist Teil eines umfangreichen Dossiers zum Thema urbane Mobilität. Das gesamte Dossier finden Sie auf APA-Science: http://science.apa.at/dossier/mobilitaet