Kategorie Innovation & Technologie - 22. Juli 2017

Betonbauwerke aus der Stickmaschine

Von Veronika Schmidt

Wer an intelligente Textilien denkt, hat oft smarte Kleidung im Sinn, also Gewand, das neue Funktionen erfüllt. So können etwa Sensoren integriert sein oder auch geruchshemmende Substanzen. „Wenn wir am Institut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn von intelligenten Textilien reden, denken wir nicht nur Bekleidung, sondern an viel mehr. Wir überlegen, welchen Gegenstand man machen könnte, der heute noch aus anderem Material besteht“, sagt Tung Pham, der seit 2016 Stiftungsprofessor für Textile Verbundwerkstoffe und technische Textilien an der Uni Innsbruck ist – gefördert vom Technologieministerium.

Gemeinsam mit Forschern aus der Bautechnik und der Architektur erschafft sein Team Betongebilde auf Basis von Textilien: Dazu werden Stickmaschinen eingesetzt, die eine gitterartige Matrix aus Karbonfasern herstellen. Diese technische Stickerei ersetzt die Stahlbewehrung von herkömmlichem Stahlbeton. „Kohlefasern sind viel leichter als Stahl und in ihrer Ausführung viel flexibler als Stahlbeton“, erklärt Pham, der in Vietnam geboren wurde und in Deutschland Werkstoffwissenschaften studiert hat. Auf die gitterartige Karbonbewehrung kann der Beton aufgegossen werden, wie es auch bei Stahlbeton üblich ist.

Beton aus dem 3-D-Drucker

„Durch die textile Gestaltung können wir alle Formen herstellen. Es muss nicht mehr ein Betonblock sein oder Ziegel. Wir arbeiten auch an einer noch effizienteren Methode: Man kann mit 3-D-Druckern Beton aufbringen“, sagt Pham. Diese Technik wird derzeit erprobt: Auf eine mit Stickmaschinen hergestellte Bewehrung aus Karbonfasern druckt der 3-D-Drucker passgenaue Betonformen. Ein Spin-off der Uni Innsbruck, das die moderne Technologie vermarkten soll, ist bereits angedacht. „Unsere ersten Prototypen sind große Bauteile von ein bis zwei Metern Länge. Dabei sind wir nicht an flache Formen gebunden, sondern stellen gekrümmte Formen her“, sagt Pham. „Wir können jede Form gestalten, die gewünscht wird.“

Ein anderer textiler Forschungsbereich in Dornbirn ist die Hybridtechnik: Zwei unterschiedliche Fasern werden gemeinsam zu Hybridgarnen gesponnen, die zur Herstellung eines Vorformlings benutzt werden. Sie verschmelzen während der Herstellung unter Druck und Wärme zu einer fixen Form. Auch so kann jede gewünschte Form produziert werden, aus einer Fülle von Grundstoffen. Als verstärkende Faser dient etwa Zellulose und als Matrixmaterial für die Flexibilität ein einfacher Kunststoff wie Polypropylen. „Bei dieser Technik setzen wir Materialien sparsam ein und vermeiden Abfall“, sagt Pham. Die gewünschte Form wird direkt hergestellt, anstatt sie aus einer größeren Vorlage herauszuschneiden. „Wir sticken nur genau das, was wir brauchen, und können die Garne in Belastungsrichtung gezielt legen“, so Pham. Hier geht es in Richtung Automobil- oder Luftfahrt-Industrie, wo es reichlich Anwendungen für leichte, robuste Verbundstoffe gibt. „Für Elemente oder Oberflächen, die nicht die größte Last tragen müssen, braucht man nicht Karbonfasern, sondern kann vieles mit Hybridgarn gut lösen.“

Die Textilforscher in Westösterreich haben trotzdem auch viele Projekte, die offensichtlicher mit Textilien zu tun haben als Flugzeuge, Autos und Betonbauten. So wurde erst kürzlich mit der Firma Rezi in Lustenau ein textiles Produkt auf den Markt gebracht: antibakterielle Reinigungstücher. Auf die Putztücher wird eine hauchdünne Schicht aufgebracht, die Kupferpartikel enthält, was günstiger und besser zu verarbeiten ist als Silber. Vor allem für Krankenhäuser und andere Orte, die vor Keimen geschützt werden sollen, sind die antibakteriellen Kupfertücher und Mopps gedacht: Sie entfernen Keime von Oberflächen und verhindern zugleich, dass sich in den feuchten Fetzen Krankheitserreger vermehren.

Auch bei der Integration von Elektronik in Textilien gibt es Erfolge aus Dornbirn. „Die Elektronik soll in den Textilien verschwinden: Es muss dehnbar und flexibel bleiben und nicht durch Verdrahtung starr werden“, sagt Pham. Daher entwickeln die Forscher Leiterbahnen, die direkt mit den Fasern verwoben sind. Dies funktioniert bereits in Pflegebetten: Das Spin-off Texible vermarktet die an der Uni Innsbruck erfundene Betteinlage, die Nässe erkennt. Bisher muss Pflegepersonal regelmäßig die Betten der Patienten händisch angreifen, um zu kontrollieren, ob etwas nass ist. Die neue Matte meldet automatisch über ein Signal ans Personalzimmer, welches Bett neu bezogen werden muss.