Kategorie Innovation & Technologie - 26. Februar 2016

Citizen Science: Helferlein der Forscher sein

Sie zählen Vögel, Igel und Bienen, bestimmen Pilzarten und bauen Nistkästen für Habichtskäuze. In der Citizen Science können alle Interessierten Einblick in die Wissenschaft gewinnen. Diese wiederum profitiert vom gesammelten Datenmaterial. Wie und wo man Laienforschung anwenden kann und dabei die wissenschaftliche Qualität hält, diskutierten Forscher bei der Citizen-Science-Konferenz am 18. und 19. Februar am Wassercluster in Lunz am See. „Die Presse“ beantwortet die wichtigsten Fragen zur Bürgerwissenschaft.

1 Wie definiert sich die Arbeitsmethode der Citizen Science?

Citizen Science arbeitet in wissenschaftlichen Projekten mit interessierten Amateuren. „Früher sprach man von Freiwilligenwissenschaft und Bürgerbeteiligung“, erklärt Florian Heigl, Gründer der Arbeitsgruppe für Citizen Science an der Boku Wien und Veranstalter der Konferenz. Die Wissenschaftsaffinität ist im angloamerikanischen Raum historisch weiter verbreitet, aber auch in Österreich gibt es seit 1851 das Projekt „Phenowatch“ an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Um Änderungen des Klimas und die Auswirkung auf die Pflanzen zu zeigen, zeichnen Bürger auf, wann Schneeglöckchen zu blühen beginnen oder die erste Rauchschwalbe aus dem Süden zurückkehrt.

2 Wer kann sich in Citizen Science einbringen?

Mitmachen kann jeder, doch momentan spricht Citizen Science eher Interessierte aus höheren Bildungsschichten, vor allem Pensionisten und Studenten, an. Meist liefern nur 20 Prozent der Teilnehmer 80 Prozent der Daten. Spezielle Förderprogramme wie „Young Science“ und „Sparkling Science“ bringen Schüler und Forscher zusammen. Auf www.zentrumfuercitizenscience.at werden Projekte präsentiert, die über Förderprogramme laufen.

3 Wie kann ich mitforschen? Wo finde ich wissenschaftliche Projekte?

Die Bandbreite an Tätigkeiten ist groß. Hobbyfotografen dokumentieren mit Bildern von Tieren deren Verbreitung, Hobbyhistoriker helfen, Archive aus dem II. Weltkrieg zu erhalten und Allergiker berichten aus ihrem Erfahrungsbereich, um Ideen für Forschungsfragen zu liefern. Auf www.citizen-science.at sind 29 Projekte gelistet: vom Pollentagebuch über den Teebeutelindex, bei dem die Zersetzungsgeschwindigkeit im Boden gemessen wird, bis zur Waldbranddatenbank. Interessierte melden sich direkt bei den einzelnen Aktionen an.

4 In welchen Disziplinen wird Citizen Science eingesetzt?

Der Schwerpunkt liegt im Bereich Ökologie. Dort setzt man traditionell auf Bürgerbeteiligung. Bekannt ist beispielsweise der Christmas Bird Count in den USA. Seit 1900 sind Freiwillige alljährlich eingeladen, einen Tag lang alle Vögel, die sie sehen oder hören, zu zählen. In Österreich gibt es Birdwatching bei BirdLife Österreich. Solche Naturschutzprojekte schärfen zusätzlich das Umweltbewusstsein. „Die Bürger haben eine große Artenkenntnis“, weiß Florian Heigl, „es gibt Spezialisten, die sich mit einer bestimmten Artengruppe, zum Beispiel Amphibien, als Hobby oder im Verein beschäftigen.“

5 Wie verändern neue Technologien die Citizen Science?

Open Access, also der freie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen im Internet, Smartphones und GPS eröffnen der Citizen Science viele Möglichkeiten. Es ist einfacher, Daten und Bilder zu übermitteln und über soziale Medien interessierte Bürger zu erreichen. Beim britischen Projekt „Splatter“ kann man über den Kurznachrichtendienst Twitter sogar wissenschaftliche Daten liefern. Spätestens an dieser Stelle tritt das Thema Datenschutz auf den Plan: „Soll der Laie Daten Dritter erfassen, oder wird er selbst zum Studienobjekt, ist die Zustimmung zur Verwendung der Daten notwendig“, erklärt der Rechtsanwalt, Gerold Pawelka, in einer Publikation zu Citizen Science vom Österreichischen Austauschdienst (OeAD). „Dass Inhalte, die man über Social-Media-Kanäle verbreitet, auf amerikanischen Servern landen, ist ein Risiko“, befürchtet Florian Heigl.

6 Welchen Beitrag können Laien in der Forschung leisten?

„Die Bevölkerung soll nicht nur befragt werden oder bei medizinischen Studien Blutproben liefern“, meint Heigl. Die aktive Beteiligung mache die Citizen Science aus. Muki Haklay, Professor für Computerwissenschaft und Geografie an der London’s Global University, definiert unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung: Beim „Crowdsourcing“ tragen Teilnehmer Sensoren, die Daten senden, oder stellen die Rechenleistung ihres Computers oder Smartphones zur Verfügung. Von „verteilter Intelligenz“ spricht man, wenn simple Aufgaben, wie das Auswerten von Fotos aus Wildkameras, von Freiwilligen übernommen werden. „Partizipative Wissenschaft“ bedeutet, dass die Bevölkerung schon bei der Entwicklung der Fragestellung eingebunden ist. Beispiele sind Tier- oder Pflanzenarten zu bestimmen (Projekt „Roadkill“, naturbeobachtung.at). Bei der Extreme Citizen Science sind Amateure in alle Schritte von der Problemstellung, über die Datensammlung bis zur Analyse miteingebunden. So brachten bei der Initiative „Reden Sie mit!“ Tausende ihre Beobachtungen über psychische Erkrankungen ein. Daraus entwickelte die Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft die Forschungsfragen zum Thema.

7 Wo sind die Grenzen der demokratisierten Wissenschaft?

Citizen Science stößt an seine Grenzen, wo es eine große Vorkenntnis braucht, wie beispielsweise in der Gentechnik. Ob Bürger brauchbare Datenqualität liefern können, hängt von der Schulung innerhalb der Projekte ab. Wichtig ist, dass die wissenschaftliche Vorgehensweise gewahrt wird. „Man kann nicht einfach Daten erheben, ohne wissenschaftliche Fragestellung“, betont Florian Heigl. (Von Juliane Fischer, Die Presse)