Kategorie Innovation & Technologie - 13. November 2015

Den Blick über den eigenen Tellerrand wagen

Einst ging ins Ausland, wer musste. Österreich hat eine schmerzvolle Erinnerung an Forscher, die ins Ausland flüchteten und zu Hause fehlten. Die Wissenschaftsdiaspora ist heute eine gänzlich andere. Wissenschaftler gehen in die Welt, weil sie dort die besseren Bedingungen vorfinden. Oder das bessere Innovationsklima. Die USA – speziell die sogenannte Bay Area rund um San Francisco, in der Eliteunis wie Stanford und Berkeley beheimatet sind und in dessen Süden sich das Silicon Valley ausdehnt – gilt als Magnet für die besten Köpfe aus aller Welt.

Auch Österreicher sind hier tätig. Ihre genaue Zahl kennt keiner, einige tausend sind über das Office of Science & Technology Austria (Osta) und das Netzwerk Austrian Scientists and Scholars in Northern America (Ascina) vernetzt. Einmal im Jahr veranstaltet das Osta den Austrian Research and Innovation Talk, der vergangene Woche mit rund 200 Teilnehmern in San Francisco stattfand. Wobei: „Es gibt keine österreichische Wissenschaft, Forschung ist ein weltweites Projekt“, so Neurologe Dietrich Haubenberger, seit dem Vorjahr Direktor der Clinical Trials Unit an den National Institutes of Health (NIH), vor Ort.

Fördermittel selbst mitbringen

Man brauche Menschen, die den Blick über den Tellerrand hinaus wagen, hieß es bei der Eröffnung. Vertreter von Wissenschafts- und Technologieministerium sowie österreichischer Unis, Forschungseinrichtungen und Förderagenturen nutzten die Gelegenheit, um in Nordamerika tätige Wissenschaftler über aktuelle Entwicklungen sowie Karriere- und Kooperationsmöglichkeiten in Österreich zu informieren.

Und wie geht es den österreichischen Forschern in den USA? Als an unkonventionellen und neuen Ideen interessierter Mensch fühle man sich hier wohl, sagt etwa Biomedizinerin Simone Winkler, die das Ascina-Netzwerk in der Bay Area vertritt. Nicht nur die Gesellschaft insgesamt gehe eher ein Risiko ein; das sei auch in der Förderkultur verankert. Allerdings seien Österreicher noch immer Außenseiter und bei vielen Förderungen ausgeschlossen.

Man tut gut daran, schon Fördermittel mitzubringen, sagt Sozialwissenschaftlerin Doris Hanappi. Sie ging nach dem Doktorat sofort ins Ausland, forschte zunächst in der Schweiz und nun mit einem Apart-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Berkeley. Familienforschung ist ihr Thema, der Schwerpunkt liegt aber auch in den USA weiter auf Europa.

Nicht einfach nur kopieren

Über den Tellerrand geblickt wird aber nicht nur regional und kulturell, sondern auch zwischen den Fächern. „Forschung findet heute vor allem an den Grenzflächen zwischen den Disziplinen statt. Da werden die großen Erfindungen gemacht“, sagt der seit mehr als 20 Jahren an der Uni Stanford tätige Physiker Fritz Prinz. Anders als andere US-Universitäten biete Stanford ein breites Fächerspektrum an. Und Natur- und Ingenieurwissenschaftler, Mediziner, Juristen und Geisteswissenschaftler arbeiten auch zusammen. Die Grenze zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung sei längst fließend, die Trennlinie zur kommerzialisierten Forschung jedoch klar. „Wir arbeiten an Phänomenen, nicht an Produkten.“ Das passiert im nahen Silicon Valley.

Und was kann Österreich von den USA lernen? Zwar seien die österreichischen Unis unterfinanziert, man verlasse sich aber bei vielem zu sehr auf den Staat, so Prinz. Von US-amerikanischen Unis, die oft als das Maß aller Dinge gelten, könne man sich Wissen holen, wie man etwas anders machen kann, sagt Anästhesist Peter Nagele von der Washington University. Man solle aber nicht alles kopieren, sondern sich das Beste holen.

Viele österreichische Forscher wollen auch wieder zurückkommen. Wenn die Karrieremöglichkeiten stimmen, würde sie gern in Österreich arbeiten, sagt Sozialwissenschaftlerin Hanappi. Das sei aber schwierig, weil auch ihr Mann– er ist Physiker – ein adäquates Angebot brauche. „Wissenschaftler sind oft mit Wissenschaftlern liiert“, sagt Thomas Henzinger, Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg, aus eigener Erfahrung: Er kam für die Gründung des ISTA zurück nach Österreich, seine Frau forscht heute an der Uni Wien. Österreichs Unis betätigen sich daher mittlerweile mit ihren „Dual Career“-Services auch als Jobbörse für heimkehrende Paare.

Drei Forscher, zwei Gruppen

Kommen Forscher retour, bringen sie nicht nur Fachwissen mit. „Man erwirbt in den USA enormes Know-how, wie internationale Kooperationen funktionieren“, so Hanappi. Es sei aber nicht unbedingt ein Verlust, wenn jemand nicht retour kommt, das Netzwerk mit Österreich bleibe bestehen, so Neurologe Haubenberger. Österreich tue allerdings gut daran, organisatorische und bürokratische Hürden abzubauen, hört man gleich von mehreren Seiten. Es werde zu viel geredet und zu wenig getan.

In den USA würden Ideen offener diskutiert als in Österreich oder auch in Deutschland. Entdeckt man, dass man denselben Gedanken hatte, denkt man über ein gemeinsames Projekt nach. Das erzählen junge österreichische Forscher, die von Ascina für ihre Leistungen ausgezeichnet wurden (siehe Beitrag unten).

Wenn aber drei Österreicher zusammenkommen, müsse man aufpassen, dass sie nicht zwei Gruppen bilden, sagt Florian Brody, Gründungspräsident des Ascina-Netzwerks und Start-up-Berater im Silicon Valley. Die Pflege des eigenen Schrebergartens hindert manche mitunter wohl noch immer beim Blick über den Tellerrand. (Die Presse, Alice Grancy)