Kategorie Innovation & Technologie - 8. November 2016

Die Software auf der Spur des Verbrechens

Um als Wissenschaftlerin Neuland zu betreten, muss man nicht auf dem Mars landen. Doch es passiert nicht alle Tage, dass man wie Meropi Tzanetakis Erkenntnisse in einem fast unerforschten Feld gewinnt. Die Politikwissenschaftlerin untersucht am Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung die Strukturen des virtuellen Drogenhandels und den Einfluss der organisierten Kriminalität – finanziert über das vom Technologieministerium geförderte Sicherheitsforschungsprogramm Kiras. „Als wir begonnen haben, gab es weltweit drei bis vier Forschungsarbeiten zu dem Thema“, so Tzanetakis. „Mittlerweile dürften es 15 sein.“

Dass es so wenig Forschung gibt, liegt an der Neuartigkeit des Phänomens. Der erste bekannte Drogenmarktplatz des Internets, Silk Road I, ging im Februar 2011 online. „Obwohl der Drogenhandel im Internet nicht gänzlich neu ist, hat der systematische virtuelle Drogenhandel durch anonymisierte Netzwerke wie TOR einen erheblichen Aufschwung erlebt.“

Mit dem TOR-Browser, einem Programm zum Surfen im Internet ähnlich dem Internet-Explorer, hinterlässt man keine Spuren. Auch Journalisten, Netz-Aktivisten oder um ihre Privatsphäre besorgte Menschen nutzen ihn. Tzanetakis: „Die Internetverbindung wird über mehrere Knoten so umgeleitet, dass die Webseite, die ich ansurfe am Ende nicht weiß, wo ich physisch lokalisiert bin.“

Mit TOR oder ähnlichen Programmen öffnet sich aber auch die sonst verborgene Welt des Darknets, des „dunklen Netzes“ also. Das muss nichts Illegales bedeuten. Hier kommunizieren etwa chinesische oder syrische Regierungskritiker. Es blüht auch der Handel mit allem, was man im Netz sonst vergeblich sucht. „Drogenhändler und Käufer treten im Darknet anonym in Kontakt, gezahlt wird mit virtuellen Währungen wie Bitcoin, und der Warenaustausch wird via Postweg abgewickelt.“

Kunden: Männer, jung, gebildet

Derzeit seien etwas mehr als 20 große Darknet-Drogenmärkte über TOR erreichbar, auf dem größten davon mehr als 18.000 Drogenangebote. Im Prinzip funktionieren sie ähnlich wie Amazon, inklusive Bewertungs- und Kommentarfunktionen, um Händler und Waren zu beurteilen. Seit zwei Jahren prüfen Wissenschaftler einer österreichisch-deutschen Kooperation mögliche Verbindungen des konventionellen und des virtuellen Drogenmarkts zur organisierten Kriminalität. Das österreichische Projekt Vidro untersuchte drei Online-Drogenmärkte. Ziel war, eine Software zu entwickeln, die relevante Daten von den Marktplätzen absaugt und per Datenvisualisierung analysiert.

In bunten Farben und Formen dargestellte Daten lassen Zusammenhänge erkennbar werden, die beim Anblick nackter Zahlen keinem Menschen aufgefallen wären. Es geht dabei um Variablen wie angebotene Drogenarten, Preise, Mengen, Zustellorte oder Kundenbewertungen. Zudem arbeiteten die Forscher mit anonymen Befragungen und Interviews mit Kunden und Händlern.

Die Ergebnisse sind vielfältig: die Kunden sind zu 80 Prozent männlich, Anfang bis Ende 20 und gut gebildet. Viele sind Gelegenheitskonsumenten. 70 Prozent des Umsatzes werden mit Cannabis, Ecstasy und Kokain erzielt. Und wie viel Mafia spielt dabei mit? „Zwei Prozent der Händler können tendenziell mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden“, schließt Tzanetakis aus Umsatzzahlen oder Verkaufsmengen der Händler.

Die Forscherin sieht das Darknet keinesfalls als Rückzugsort von Drogenhändlern, denen die Polizei im Straßengeschäft zu sehr auf die Füße gestiegen wäre. Vielmehr spiegle sich hier der gesellschaftliche Wandel in Richtung Digitalisierung und Globalisierung wieder. „Der Wandel hat einen neuen Typ von technikaffinem Drogenhändler hervorgebracht – und von relativ mündigen Konsumenten, die sich genau über Drogenarten und Händler informieren, bevor sie anonym bestellen.“ So würden sich Konsumenten gegenseitig vor gepanschter Ware warnen oder Händler chemische Tests posten. „Diese höhere Transparenz im Bezug auf Produkt und Händler ist ein wesentlicher Unterschied zum Straßenhandel, wo der Käufer nicht weiß, ob die Qualität stimmen wird oder nicht.“

So gesehen könnte der virtuelle Drogenhandel dem Konzept der Schadensminimierung in die Hände spielen. Seine Verfechter stehen – im Gegensatz zur Null-Toleranz-Politik – für Drogenersatzprogramme oder die Ausgabe steriler Spritzen. Dabei geht es um die Realität, in der Menschen Drogen konsumieren mit dem Ziel, Gesundheits- und soziale Risken zu minimieren. Dass das Darknet den Einstieg in den Drogenkonsum erleichtere, kann Tzanetakis nicht bestätigen: Der Anteil derer, die zuvor nie Drogen genommen haben und online erstmals kaufen, sei relativ gering.

Übrigens: Gänzlich sicher vor Ermittlungsbehörden ist auch der Internetdrogenhandel nicht. „Momentan ist ein Marktplatz im Durchschnitt ein halbes Jahr online.“ Sobald ein Marktplatz geschlossen wird, weichen die Händler auf einen anderen aus. Tzanetakis: „Das Katz-und-Maus-Spiel der physisch-materiellen Welt setzt sich im Darknet fort.“ (Von Timo Küntzle, Die Presse)