Kategorie Innovation & Technologie - 26. November 2018

Die Stadt als Rohstofflager der Zukunft

Es ist ein gut gehüteter Schatz, auf dem Stadtbewohnerinnen und -bewohner sitzen. Unmengen an verarbeiteten Rohstoffen schlummern in der Erde, in unterirdischen Strom- und Kommunikationsleitungen, in U-Bahn-Schächten und Kanälen, sind konserviert in Straßen, Gebäuden, Plätzen.

In den Augen von Recyclingexperten stellt die Stadt so etwas wie eine schwer zugängliche Mine dar. Denn neben klassischen Baustoffen wie Beton, Sand, Ziegeln, Stahl und Holz sind auch wertvolle Metalle wie Kupfer, Aluminium und Zink in der Infrastruktur verbaut. Dazu kommen Kunst- und Verbundstoffe sowie problematische Stoffe wie Blei und Cadmium.

Laut dem aktuellen Bundesabfallwirtschaftsplan machen die gesamten anthropogenen Ressourcen, also das von Menschen geschaffene Materiallager, rund 400 Tonnen pro Österreicherin und Österreicher aus.

Doch wie kann diese enorme Rohstoffquelle zugänglich gemacht werden? Wo sind welche Materialen in welcher Menge gebunden und wie können sie in Zukunft sinnvoll genutzt werden? Diese Fragen beschäftigen immer mehr Forscher unter dem Stichwort „Urban Mining“.

„Im Vergleich zu primären Rohstoffen gibt es viel zu wenig Daten und Fakten über Rohstoffe, die bereits in Verwendung sind“, sagt Johann Fellner von der TU Wien. „Die Abfallstatistik ist sehr lückenhaft, konkrete Zahlen über Kupfer gibt es beispielsweise nicht.“

Als Leiter des Christian-Doppler-Labors für anthropogene Ressourcen entwickelt Fellner Methoden, um städtische Minen aufzuspüren und die Rohstoffe im Sinne einer Kreislaufwirtschaft wiederzuverwerten.

Seit 2012 arbeiten die Forscher des CD-Labors an einem Ressourcenkataster für Wien. Dabei haben sie sich eine Stichprobe von knapp 100 Gebäuden vorgenommen, Abbruchhäuser wie Neubauten inspiziert, Pläne ausgewertet und charakterisiert, welche Materialien etwa in Leitungen, Heizkörpern, Böden und Gemäuern verwendet wurden.

Auf Schutt bauen

„In einem Gründerzeithaus, also vor 1918 errichtet, wurden primär Ziegel, Mörtel und Holz eingesetzt, während man heute viel Stahl und Beton findet, aber auch komplexe Verbundmaterialien, die schwer abzubauen und zu recyceln sind“, schildert Fellner. Insgesamt wurde Wiens Gebäudebestand in 15 Kategorien (nach Baujahr und Nutzung) eingeteilt und berechnet, welche Materialien sich typischerweise in einem Kubikmeter der jeweiligen Kategorie befinden.

Räumliche Verteilung von mineralischen Rohstoffen in Wien (Kilogramm pro Qudratmeter). © Fellner

Insgesamt ruhen in Wien 380 Millionen Tonnen Baustoffe, rechnet Fellner vor. 96 Prozent davon sind mineralische Rohstoffe wie Beton und Ziegel, dazu kommen aber immerhin noch sechs Millionen Tonnen Metalle. „Wien wächst ständig, der Materialbedarf ist hoch“, sagt Fellner. Mithilfe von Luftaufnahmen haben die Forscher gezeigt, dass in Wien von 2013 auf 2014 0,3 Prozent des Gebäudebestands oder 2,8 Millionen Kubikmeter abgebrochen wurden, während ein Prozent neu gebaut wurde. Aktuellere Daten sind aufgrund der aufwendigen Erhebungen nicht verfügbar.

„Derzeit wird der Großteil des Schutts im Straßenbau und zur Auffüllung von Baugruben verwendet“, sagt Fellner. „Das bedeutet Downcycling, also eine Verwendung für mindere Zwecke. Schutt könnte aber auch im Hochbau eingesetzt werden, etwa zur Betonherstellung.“ Schließlich werden auch die für Beton benötigten Rohstoffe knapp. Schon heute gehört Sand zu einer umkämpften Ressource.

Städte als Teil eines globalen Stoffwechsels

Der gesteigerte Rohstoffhunger der Menschheit und die zunehmende Abhängigkeit von Importen, wie etwa im Fall von Kupfer, machten es nötig, die Stadt als Teil eines großen Stoffwechsels zu betrachten, sind sich Urban-Mining-Experten einig. Gebäude müssten als Zwischenlager für Rohstoffe betrachtet werden. In dem vom Architekten Werner Sobek sowie von Dirk E. Hebel und Felix Heisel vom Karlsruher Institut für Technologie konzipierten Projekt „Umar“ (Urban Mining and Recycling) wurde diese Vision bereits exemplarisch umgesetzt.

Außenansicht des Wohnmoduls „Umar“. © Zooey Braun

Im Materialforschungszentrum Empa im Schweizer Dübendorf wurde ein Wohnmodul errichtet, dessen Bestandteile nach dem Rückbau vollständig und sortenrein wiederverwendet, recycelt oder kompostiert werden können. Unter anderem kamen neu entwickelte Dämmplatten aus Pilzmyzelium, Recyclingsteine und wiederverwertete Isolationsmaterialien zum Einsatz. Das Tragwerk und Teile der Fassade bestehen aus unbehandeltem, nicht verklebtem Holz, zusätzlich wurden Kupferplatten verwendet, die zuvor das Dach eines österreichischen Hotels deckten.

Tote Leitungen nutzen

Doch inwieweit sind solche Konzepte in größerem Maßstab umsetzbar? Ist es technisch machbar, wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll, auf urbane Minen zurückzugreifen, anstatt „neue“ Rohstoffe zu verbauen? Das haben Umweltforscher von der TU Wien und dem Energieinstitut an der Uni Linz in einem vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) finanzierten Projekt berechnet. In drei Fallstudien haben Astrid Allesch und ihr Team die potenzielle Weiternutzung von Bauteilen eines Wiener Abbruchhauses und das Recycling von Fotovoltaikmodulen sowie erdverlegten Leitungen analysiert.

Auch hier mussten die Forscher bei null beginnen. „Es gibt kaum Daten zu stillgelegten Leitungen“, sagt Allesch. „Die Netzbetreiber geben nur vereinzelt Daten heraus.“ Auf Baustellen machten sich die Forscher ein Bild davon, wie viele stillgelegte Strom- und Telekommunikationsleitungen – die einen hohen Anteil am begehrten Kupfer haben – potenziell im Boden schlummern. Dann rechneten sie aus, welche Ökobilanz verschiedene Varianten der Rückgewinnung von Materialien aufweisen, auch im Verhältnis zum Energieaufwand, der für einen Abbau der Rohstoffe benötigt würde.

Das Fazit: Werden wertvolle Metalle recycelt, schont das nicht nur die Ressourcen, sondern es kann auch Treibhausgase einsparen und einen wirtschaftlich positiven Effekt haben. Immerhin liegen schätzungsweise 120 Kilo Kupfer pro Kopf im städtischen Rohstofflager begraben.

Es brauche Anreize der öffentlichen Hand, die die Stadt als Materialquelle attraktiver machen, ist Allesch überzeugt: „Dazu gehören Förderungen, materialspezifische Recyclingvorgaben und Qualitätsstandards für Sekundärrohstoffe sowie eine faire Preispolitik, die Umwelt- und Ressourceneinsparungen miteinkalkuliert.“ Das Um und Auf sei, dass Recycling schon beim Design mitgedacht wird, wie die Studie anhand von Fotovoltaikmodulen zeigt – deren Bestandteile können derzeit kaum wiederverwertet werden.

Noch kratzt der städtische Bergbau an der Oberfläche. Das könnte sich mit neuen Datenbanken, Materialien und ihrer Online-Vernetzung ändern – damit die Smart Cities der Zukunft vielleicht einmal selbst darüber Auskunft geben können, was eigentlich in ihnen steckt.

Karin Krichmayr, DerStandard

Service: Mehr Infos zum Urban Mining in einem vom BMVIT geförderten Projekt aus dem Programm Stadt der Zukunft.