Kategorie Innovation & Technologie - 9. Dezember 2015

„Es ist schon cool, ein Unternehmen zu gründen“

STANDARD: Zuletzt war in einer Jubelmeldung zu lesen, dass die heimische Biotechbranche wächst. Gibt es dafür einen speziellen Grund?

Seipelt: Das Biotechbusiness hat in Österreich kurz vor der Jahrhundertwende begonnen und sich von da an kontinuierlich nach oben entwickelt. Nur 2009, also im Jahr nach dem Einsturz der Finanzmärkte, gab es kurz eine Finanzierungsdelle. Einen starken Einbruch gab es nicht. Die Community ist recht homogen, man kennt einander.

STANDARD: Ist das unbedingt ein Vorteil?

Seipelt: Ich glaube schon, dass das gut ist. Die Szene ist überschaubarer. Man sieht schneller, wie man sich mit seiner Idee positionieren könnte. Nehmen wir die IT- und Telekommunikation als Beispiel. Hier ist die Welt nicht so schön abgegrenzt – hier haben wir ein recht weites Feld von populären Apps wie Runtastic bis hin zu speziellen Softwareprogrammen für Betriebe. Dennoch gibt es auch hier Zuwächse, wenngleich nicht so kontinuierlich und auffällig wie im Biotechbereich.

STANDARD: Kommt also die Start-up-Szene nun mehr in Bewegung als bisher?

Seipelt: Es gibt positive Signale. Ein Unternehmen zu gründen, ist mittlerweile cool. Da braucht es jetzt mehr positive Beispiele, um eine Bestärkungsspirale in Gang zu setzen. Es fehlt ja immer noch am Mut, in die Selbstständigkeit zu gehen. Man stellt sich viele Fragen: Wie ist das außerhalb der geschützten Werkstätte? Kann ich mir das alles leisten? Kann ich jemals wieder Urlaub machen?

STANDARD: Ist man da in Österreich vorsichtiger als anderswo?

Seipelt: Sagen wir so: Wir sind hier in manchen Belangen besonders vorsichtig. Aber wir dürfen auch nicht unzufrieden sein mit der gegenwärtigen Entwicklung. Vor zehn Jahren war es ganz und gar nicht cool, ein Unternehmen zu gründen. Da fragte man die Gründer, ob sie lebensmüde sind. Das Pflänzchen wächst, ist aber noch sehr zart. Wenn ich den österreichischen Unternehmensgründer Hermann Hauser zitieren darf: Er zog Vergleiche zwischen Cambridge in England, wo sich eine Art Silicon Valley etabliert hat, und Österreich und meinte, wir seien etwa zehn Jahre hintennach.

STANDARD: Was fehlt hierzulande im Vergleich zum angloamerikanischen Raum?

Seipelt: Es fehlt die Risikokultur. Wer hier eine Idee für ein Unternehmen hat, wird nach Strich und Faden zerlegt. In den USA sagt man ihm: „Okay, probiere es aus, dann sehen wir weiter.“ Die amerikanische Philosophie ist also viel positiver, so weit sind wir in Kontinentaleuropa noch nicht. Aber die beste Idee und sie geheim zu halten, ist gar nicht mehr allein das, worauf es notwendigerweise ankommt. Mittlerweile geht es vermehrt darum, die Idee so schnell wie möglich auf den Boden zu bringen.

STANDARD: Die Kulturunterschiede zu den USA zeigen sich wohl auch im Umgang mit dem Scheitern. Sie waren ja selbst Unternehmensgründer und sind damit gescheitert. Wie haben Sie das speziell in Österreich erlebt?

Seipelt: Es stimmt, dass man im angloamerikanischen Raum deutlich positiver ist gegenüber Gründern, die schon einmal gescheitert sind. Man geht davon aus, dass man dadurch etwas lernt und es beim nächsten Mal besser macht. Wir haben das Biotechunternehmen Avir Green Hills 2002 gegründet und sind nicht durch eine entscheidende Finanzierungsrunde 2012 gekommen. Das war natürlich bitter, aber ich denke, dass ich viel gelernt habe, was ich jetzt weitergeben kann.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Seipelt: Man kann Fehler machen. Das geht gar nicht anders. Mann muss aber am Ende des Tages mehr Dinge richtig als falsch machen.

STANDARD: Noch eine Frage zur Etablierung einer Start-up-Kultur in Österreich: Ist das Thema Unternehmensgründungen an Universitäten hierzulande unterrepräsentiert?

Seipelt: Die Unis sind logischerweise lehre- und forschungsgetrieben. Was sollen sie noch alles machen? Daneben noch ein Unternehmen gründen? Die Frage der Umsetzung kommt daher nicht wirklich vor. Es geht jedoch langsam, aber sicher in die richtige Richtung. Es gibt Stiftungsprofessuren zu wirtschaftsnahen Themen. Da bräuchte es aber auch noch eine andere Denkweise. In den USA ist es völlig normal, dass ein Universitätsprofessor ein Unternehmen gründet und nach einiger Zeit wieder an die Uni zurückkehrt. In Österreich gibt es nur ein Entweder-oder. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es ist ungeheuer befriedigend, für das eigene Unternehmen zu arbeiten. Ich habe lange Zeit das Gefühl gehabt, gar nicht arbeiten zu gehen. (Peter Illetschko, 9.12.2015)


Joachim Seipelt (51), geboren in Innsbruck, studierte Biochemie an der Universität Wien und dissertierte bei Boehringer Ingelheim in Wien. Er baute an den Max-F.-Perutz-Laboratorien eine eigene Arbeitsgruppe in der Virologie auf. 2002 war Seipelt Mitgründer des Biotech-Start-ups Avir Green Hills Biotechnology AG, das neue Grippeimpfstoffe entwickelte. Als Vizepräsident war Seipelt verantwortlich für Organisation, Business-Development, Lizenzierungen und Finanzierung. Seit Dezember 2013 leitet Seipelt das Geschäftsfeld Technologie-Innovation der Agentur Austria Wirtschaftsservice (AWS), die im Eigentum des Bundes ist, hier vertreten durch Wirtschafts- und Verkehrsministerium.