Kategorie Innovation & Technologie - 6. Oktober 2016

„Ja, die Falten verschwinden im All – aber sie kommen wieder“


APA/NASA/JPL-Caltech

Warum der Blick auf die Erde nie langweilig und die Haut im All tatsächlich straffer wird, man an Bord einer Raumfähre auch Spaß hat und wie die Technologie, die hinter der Testsoftware für den Mars-Rover „Curiosity“ steckt, auf direktem Weg der Schlüssel zur Fabrik der Zukunft ist? Das und viel mehr erfuhr ein studentisches Publikum am Tag Vier des 29. Planetary Congress des Internationalen Raumfahrerverbandes (Association of Space Explorers), der am 7. Oktober zu Ende geht.

Viel habe sich in der heimischen Forschung getan, strich Österreichs Vorzeige-Raumfahrer Franz Viehböck, der die Veranstaltung nach Wien geholt hat, gleich zu Beginn des Kongresstags in der Wiener Siemens City hervor: „Als ich ein junger Mann war, existierte das Thema Raumfahrt an der Uni nicht.“ Umso mehr freue er sich etwa über das TU Space Team, das aus rund 50 Personen besteht und sich vor sechs Jahren gebildet hat. „Die Studenten befassen sich mit Hochtechnologie, lernen unglaublich viel über Projektmanagement, Programmieren, Materialwissenschaften, 3D-Druck – und haben eine Mordshetz dabei“, zeigte er sich überzeugt.

24 Stunden am Tag Experimente

Zwei Mal ins Weltall flog die ehemalige US-Astronautin Susan Kilrain, die das Publikum mit lebhaften Eindrücken vom Alltag einer Mission versorgte. Sie war als Shuttle-Pilotin 1997 an Bord der Raumfährte Columbia. Nur achteinhalb Minuten, so kurz ist der Weg in die niedrige Umlaufbahn. Der Druck steigt, „bis man glaubt, ein Elefant sitzt auf den Schultern“. Die ersten paar Tage dann die Gewöhnung an die Schwerelosigkeit. „Es ist wie im Pool zu schwimmen, ohne nass zu werden“, so Kilrain, die zum „Doctor on Bord“ mutierte. „Es hat mir Spaß gemacht, die Leute zu verarzten“. Die meiste Zeit nahmen allerdings wissenschaftliche Experimente in Anspruch. „Gearbeitet wurde rund um die Uhr. Wir haben etwa Experimente zu Flüssigmetallen durchgeführt – diese Technologie ist im neuen iPhone enthalten.“

Geschlafen wurde in Schichten, und auch diese „Tätigkeit“ fand im (Schlaf-) Labor statt. „Wir haben uns festgezurrt, die Arme reingetackert, damit sie nicht ‚herumfliegen'“. Sportliche Bewegung in Form von Radfahren oder Aerobic stand täglich auf dem Programm. „Das muss sein, damit das Herz kräftig bleibt“. So zählt Kilrain wohl zu den wenigen, die die Erde umradelt haben – das schaffte sie in 90 Minuten, den blauen Planeten immer im Blick. Dieses Anblicks wurde sie nie überdrüssig. „Wir haben Kometen gesehen, aktive Vulkane, einen Hurrikan, dutzende Sonnenauf- und -untergänge, das Nordlicht – es war friedlich, herrlich, anregend“, erinnerte sie sich.

Vermisst habe sie auf ihren Missionen nur ihre Familie und gutes Essen: Denn Astronautennahrung wird dehydriert transportiert, erst an Bord fügen die Raumfahrer selbst erzeugtes Wasser bei und machen so die Lebensmittel genießbar. Dass man mit (schwerelosem) Essen auch als Erwachsener spielen kann und überhaupt der Spaß an Bord nicht zu kurz kam, bewiesen zahlreiche Fotos aus ihrem Fundus. „Und weil ich immer wieder gefragt werde: Ja, Falten verschwinden im All – aber leider kommen sie wieder“, erklärt die mittlerweile vierfache Mutter, die nur mehr sporadisch Öffentlichkeitsarbeit für die Raumfahrt betreibt. Im Rahmen des ‚Community Day‘ hatte Kilrain Tags zuvor Schüler in Kärnten getroffen. Von deren Fragen und dem gezeigten Interesse zeigte sie sich angetan. „Es hat viel Freude gemacht“, meinte sie.

„Ein besserer Mensch werden“

Viel Begeisterung versprühte auch Kilrains Landsmann Charlie Walker, der die Erfahrung, seinen Heimatplaneten von oben gesehen zu haben, „nicht mit Bildern, auch den besten“, vergleichbar hält. „Die Erde erschien mir so verletzlich und inspirierend. Ich wollte ein besserer Mensch werden“, erzählt er.

Er absolvierte seinen ersten Raumflug nicht als professioneller Astronaut, sondern als Forscher auf dem Jungfernflug der Raumfährte Discovery im Jahr 1984. Insgesamt drei Mal flog er ins All, dabei erlebte er ebenso viele Fehlstarts. An Bord führte er pharmakologische Experimente durch. „Pharmaunternehmen haben auch heute großes Interesse an der Verbesserung von Substanzen oder Materialien durch Mikrogravitation. Aber alles ist eine Geldfrage“, meinte er. Seine Flüge fanden Jahre vor der Inbetriebnahme der Internationalen Raumstation (ISS) statt, welche er als Meilenstein der Raumfahrt Ende des 20. Jahrhunderts bezeichnete. „Es findet dort Forschung auf beinahe jedem Gebiet statt. Bis 2024 bleibt die ISS auf jeden Fall in Betrieb, das ist gut.“ Außer den USA sind elf europäische Länder an der Station, die rund 350 Kilometer über der Erde kreist, beteiligt.

Testsoftware: Für Mars-Rover wie für Autos

Einen Einblick in die Auswirkung von Raumfahrttechnologie auf die unmittelbare Industrieproduktion gewährte Kurt Hofstädter, Leiter der Division Digital Factory bei Siemens, Gastgeber des Kongresstags. Das Unternehmen lieferte für den Mars-Rover „Curiosity“, der seit 2012 im Einsatz ist, die Testsoftware PLM. „Es war der dritte Mars-Rover in Folge, aber auch der komplexeste und schwierigste“, erläuterte der Experte.

Testsoftware sei auch für die Industrie der Schlüssel zur digitalen Fabrik. „Es gilt heutzutage, die Markteinführung zu beschleunigen, flexibler und effizienter zu arbeiten. Die Abläufe werden mit Sicherheit nicht weniger komplex – deshalb müssen wir die Komplexität beherrschen“, so sein Credo.

Am Beispiel der Autoindustrie veranschaulichte Hofstädter, wie digital die Gegenwart bereits ist. „Noch während des Designvorgangs können Daten anderen Produktionsprozessen zur Verfügung gestellt werden – wie das auch beim Mars-Rover der Fall war. Das bedeutet, die Vorfertigung kann schon geplant werden, die ‚factory‘ kann Gestalt annehmen. Allein um eine Karosserie herzustellen, werden 90 Roboter benötigt – diese können bereits programmiert und ebenfalls getestet werden, um etwa gegenseitige Berührungen zu vermeiden“, schilderte er. Auch Crash-Tests kommen mittlerweile mit Simulationen aus. „Wenn es Probleme gibt, können wir die Roboter umprogrammieren – und das alles, ohne überhaupt je Material angefasst zu haben“, betonte er die Vorteile.

Service: Mehr unter http://ase2016.oewf.org/de. Ein umfangreiches Dossier zum Thema bemannte Raumfahrt ist auf APA-Science erschienen: http://science.apa.at/dossier/raumfahrt.