Kategorie Innovation & Technologie - 1. April 2016

Mit Robotern Güter zügig ans Ziel bringen

Sie arbeiten meist nachts. Bei Regen, Schnee und Minusgraden. Mehr als 2300 Mitarbeiter der ÖBB sortieren auf Österreichs Verschubbahnhöfen tonnenschwere Waggons und stellen die Züge neu zusammen: damit etwa Erz nach Linz, Autos nach Salzburg oder Container nach Triest gehen. Immer mehr passiert automatisch, getrennt werden die Waggons aber noch händisch: vom Verschubarbeiter, der neben dem rollenden Waggon hergeht. Damit diese schwere und gefährliche Arbeit künftig Roboter übernehmen, arbeiten Forscher der FH Oberösterreich gemeinsam mit einem Entwicklerteam der Bundesbahnen an einem Prototypen.

„Unsere Vision ist, alle notwendigen Schritte beim Trennen und Neusortieren der Waggons zu automatisieren“, sagt Peter Traussenegger. Heute arbeitet er an der Strategie zum intelligenten Verschubbahnhof der Zukunft mit. Vor rund 37 Jahren hat er selbst im Verschub begonnen und kennt daher die notwendigen Arbeitsschritte gut: „Rollt ein Güterzug ein, müssen wir ihn zerlegen und die Waggons nach Bestimmungsorten neu ordnen.“

Technik aus 19. Jahrhundert

Dazu werden die Züge zunächst „lang gemacht“: Die Verschubarbeiter lockern die Schraubenkupplungen und lösen die Druckluftbremsen. Eine Lok schiebt die Waggons zum sogenannten Abrollberg, einem Hügel, wo die Weichen sie – mit Hilfe der Schwerkraft – zu ihrem neuen Zug führen. Davor muss der Entkuppler die Waggons aber noch endgültig trennen: Dazu fährt er mit einer Kuppelstange zwischen die Waggons. Diese beiden Schritte – das Langmachen und das endgültige Entkuppeln – sollen künftig Maschinen übernehmen.

Tatsächlich stammen die Schraubenkupplungen, die Europas Güterzüge verbinden, noch aus dem 19. Jahrhundert. „Da war die Automatisierung freilich noch kein Thema“, weiß Burkhard Stadlmann, Automatisierungstechniker an der FH Wels. Und weil das Prinzip alt ist, ist nur wenig Platz für neue Technologien: Es gibt kaum Freiraum neben den Puffern, die die Druckkräfte aufnehmen. Auch darüber ist nur wenig Platz. Sensoren müssen bei jedem Wetter funktionieren, in Licht und Schatten. „Dazu kommt, dass es viele verschiedene Güterwagen gibt, die das System erkennen muss“, so Stadlmann. Ein für Mechanik und Sensorik forderndes Unterfangen, für das Experten aus verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten.

Kameras messen die Distanz

Stadlmann ist wissenschaftlicher Projektleiter im vom Technologieministerium geförderten Projekt „EntKuRo“. Das Kürzel steht für Entkupplungsroboter, in vierjähriger Forschungsarbeit soll bis 2018 am Linzer Verschubbahnhof ein erster Prototyp „auf Schiene“ sein. Denn was im Labor funktioniert, muss sich unter realen Bedingungen erst beweisen. Das soll zunächst beim Entkuppeln und dann auch beim Langmachen gelingen.

Für beides nutzen die Forscher ähnliche Sensoren: Optische Kameras liefern Tiefeninformationen, durch die sich Entfernungen einschätzen lassen. Damit die Bedingungen stimmen, braucht es eine spezielle Beleuchtung. Und beim Langmachen kommt dann noch ein Greifarm dazu, der die Kupplung löst.

Wie ein Roboter in einer Autofabrik wird der EntKuRo dennoch nicht aussehen: Dieser sei vielmehr ein hochspezialisiertes Arbeitsgerät, das weitgehend autonom agieren soll, so Stadlmann. Klappt das, soll das den ÖBB rund zwei Millionen Euro sparen. Und könnte eine Vorreiterrolle für andere europäische Bahnbetreiber spielen, die ebenfalls – derzeit allerdings noch vergeblich – nach einer digitalisierten Lösung für das veraltete System suchen.

Und was passiert mit den Mitarbeitern? „Unsere Kollegen müssen sich keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen“, sagt Florian Saliger, Projektleiter der ÖBB Infrastruktur. Es würden sich lediglich Berufsbilder verschieben. Damit Mensch und Maschine künftig so zusammenwirken, dass keine Gefahr entsteht, sind auch Forscher des Austrian Institute of Technology (AIT) eingebunden. Die ersten Laborversuche funktionieren, die Forscher bereiten derzeit die Patenteinreichung vor. Bei der 30-Jahrfeier des Wiener Zentralverschiebebahnhofs soll es eine erste Präsentation geben. (Von Alice Grancy, Die Presse)