Kategorie Innovation & Technologie - 29. Februar 2016

Open Innovation: Und jetzt machen wir gemeinsam Forschung

Wien – Knapp 50 Millionen Kunstwerke von Boticelli bis zu Dadaismus auf neue Art in Design-Apps und -Spielen für Bildung oder Tourismus zu nutzen – damit beschäftigt sich das EU-Projekt Europeana Creative, geleitet von der Österreichischen Nationalbibliothek. Die Wiener Boku nimmt dagegen am EU-Projekt Pasta teil, das mithilfe von Onlinebefragungen Zusammenhänge von Mobilitätsverhalten und körperlicher Aktivität untersucht. Die FH Technikum Wien wiederum an einem Projekt, das den Abbau von Hürden beim Technologietransfer zwischen FHs und Klein- und Mittelbetrieben im Fokus hat.

Das sind drei der Best-Practice-Beispiele, die auf der Plattform zu Österreichs Strategiesuche in Sachen Open Innovation präsentiert werden. Die Projekte zielen auf Bürgerbeteiligung, Wissensweitergabe oder eine andere Form von Vernetzung ab. Tatsächlich bleibt der Begriff, den die Initiative als „gezielte, systematische Öffnung von Innovationsprozessen in Organisationen“ beschreibt, abstrakt und schwer fassbar in der Vielzahl seiner möglichen Ausformungen.

„Open Innovation ist in der Tat zu einem Catch-all-Begriff geworden, einem weit aufgespannten Netzwerkbegriff, der helfen soll, die Innovationsagenda voranzutreiben“, sagt die Wissenschaftsforscherin und Forschungsrätin Helga Nowotny. „Aus meiner Sicht ist es ein Appell an möglichst alle mitzuwirken, um die Dynamik des Wirtschaftswachstums durch Innovation zu unterstützen.“ Es gehe darum, den informellen Sektor, die Zivilgesellschaft und andere noch nicht ausgeschöpfte Innovationspotenziale der Gesellschaft zu nutzen, so Nowotny. „Start-ups sind dabei der sichtbarste, aber nur ein kleiner Teil.“

Der vom Verkehrs- sowie vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium initiierte Strategieprozess zu Open Innovation hat zuletzt eine Konkretisierung in Form von 15 Maßnahmen, die zur Debatte gestellt wurden, erfahren. Matchmaking-Plattformen sollen etwa das richtige Wissen an den richtigen Ort bringen. Anreizsysteme könnten Forschungsprojekte mit unüblichen Akteuren begünstigen. Die Öffnung von Förderprogrammen für Bürger und faire Abgeltung der Auslagerung von Arbeit durch Crowdworking werden diskutiert.

Eine Institution, die ihre Idee von Open Innovation bereits in konkrete Prozesse überführen konnte, ist die Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft. Im Rahmen der Initiative Open Innovation in Science zielte das Projekt Cris („Crowdsourcing Research Questions in Science“) darauf ab, Nichtwissenschafter in die Erforschung psychischer Erkrankungen einzubeziehen. „Die Idee kommt aus der Diabetes-Forschung in Harvard“, erklärt Boltzmann-Geschäftsführerin Claudia Lingner. Dort bezog man Ideen Betroffener mit ein, um aus einer festgefahrenen Situation aus immer gleichförmigeren Hypothesen herauszukommen.

Die Suche nach der Crowd

„Wir haben viele Gespräche geführt, Selbsthilfeorganisationen, Krankenhäuser und Forschungseinrichtungen kontaktiert und ein großes Netzwerk aufgebaut“, berichtet Lingner von der Suche nach der Community für das Projekt, das nach außen „Reden Sie mit!“ genannt wurde. Auf einer Onlineplattform antworteten Betroffene, Angehörige und Experten in 400 Statements auf maßgeschneiderte Fragen. Im folgenden Analyseprozess wurden 700 Textstellen extrahiert, in Themenclustern geordnet, diese wiederum einem Onlinevoting unterzogen und von einer Jury bewertet.

Herauskristallisiert haben sich Themen wie die Gesunderhaltung von Kindern und Jugendlichen in einem von psychischer Krankheit geprägten Umfeld, Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und Versorgungsaspekte im Bereich der stationären Betreuung.

„Wichtig ist, dass man die Erwartungshaltungen bei den Projektbeiträgern nicht nur schürt, sondern die Ergebnisse auch tatsächlich umsetzt“, betont Lingner. „Wir werden uns also in einem künftigen Projekt mit einem der Themen beschäftigen.“ 2016 planen Lingner und ihr Team im Projekt Lois („Lab for Open Innovation in Science“) Wissenschafter mit Open-Innovation-Methoden vertraut zu machen. Unterschiedliche Logiken von Märkten und Wissensbereichen, neue Organisationsformen von Zusammenarbeit und Umgang mit geistigem Eigentum werden besprochen.

Falk Reckling bemüht sich für den Wissenschaftsfonds FWF um die Umsetzung von Open Access – also dem freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen im Internet – in Österreich, was bis 2025 möglich sein sollte, „wenn der politische Wille da ist“. Die Problematik um Open Innovation und geistigem Eigentum, also der Gegensatz von offenen Forschungsprozessen und exklusiver Verwertung, berührt Open Access nicht, weil das Sichern der Verwertungsrechte ohnehin vor der Publikation erfolgt.

Auch die Frage der Bewertung von Wissenschaft stellt sich neu. „Es bilden sich jetzt einige Modelle heraus, die auch die Begutachtung offener, transparenter und nachvollziehbarer gestalten“, sagt er. Eine Maßnahme, die bereits von einigen Zeitschriften angewendet wird, ist, dass Gutachter künftig nicht zwangsläufig anonym sind.

Probleme sieht Reckling in einem anderen Aspekt: Es gebe mehrere Strategieprozesse auf EU- und nationaler Ebene mit ähnlich gelagerten Thematiken, von der Roadmap für den europäischen Forschungsraum bis zu den Prinzipien von Responsible Research and Innovation.

„Möchte man alle diese Prozesse abdecken, ergibt das eine Anforderungsexplosion für die Wissenschafter. Sie sollen ethisch korrekt, ökonomisch relevant, mit sozialem Impact, inter-, trans- und multidisziplinäre Hochrisikoforschung betreiben, Durchbrüche erzielen und auch noch die Gesellschaft einbinden. Und das alles soll auch noch evaluiert werden“, spitzt Reckling zu. „Wir müssen entscheiden, welche Anforderungen sinnvoll sind und welche nur die Bürokratie aufblasen.“

Wirkung erforschen

Ungeklärte Widersprüche, die der Begriff Open Innovation birgt, sieht auch Helga Nowotny. „Es wird notwendig sein, sich nach der ersten Phase des enthusiastischen Ausprobierens mit dem Wirkungspotenzial der verschiedenen Formen von Open Innovation intensiv zu befassen.“ Eine Risikoanalyse könne realistische Grenzen von Erwartungen aufzeigen. „Letztlich geht es darum, die verschiedenen Einzelperspektiven zusammenzubringen. Innovation ist dann als ein Ökosystem zu sehen, das aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Teile seine Dynamik bezieht.“ (Alois Pumhösel, 29.2.2016)


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