Kategorie Innovation & Technologie - 28. Mai 2016

Pioneers Festival: Zweitägige Start-up-Party in Wien


APA/Pioneers

Mit viel Pomp, vielen Videos und vielen „High Fives“ ist in der Wiener Hofburg das zweitägige Pioneers Festival am 24. und 25. Mai über die Bühne gegangen. Internationale und heimische Start-ups stellten hier bereits zum fünften Mal ihre Ideen vor und vernetzten sich mit Investoren. Rund 2.500 Gäste wurden erwartet.

Heuer haben die Veranstalter die besten 500 Start-ups aus sieben verschiedenen Bereichen – etwa Finanzen, Mobilität oder Unterhaltung – eingeladen, erklärte Andreas Tschas vom Pioneers Festival in seiner Eröffnungsrede.

Gerade in der Finanzbranche bleibe kein Stein auf dem anderen, sagte Roland Schöbel vom Beratungskonzern PwC. Traditionelle Banken verlören einen großen Anteil ihres Umsatzes an sogenannte Fintechs, Start-ups aus dem Finanzbereich. Es sei daher unabdingbar, dass sich etablierte Finanzkonzerne mit Start-ups auseinandersetzen.

Ganz in „Ted-Talk“-Manier sprach auch Wiens Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner (SPÖ). Wien sei nicht nur die Hauptstadt von Kultur und Musik, sondern auch ein innovatives Business-Zentrum im Herzen Europas. Schließlich lebten hier auch 200.000 Studenten und 40.000 Forscher. „Wir laden heuer zehn Start-ups ein, für drei Monate nach Wien zu kommen“, kündigte Brauner an. Sie bekommen einen Co-Working-Space (Platz in einem Gemeinschaftsbüro) sowie ein Business-Coaching.

Tipp vom Milliardär: Hausverstand einsetzen

Der indisch-amerikanische Geschäftsmann und Milliardär Manoj Bhargava hat am Pioneers Festival Start-ups mehrere Tipps mit auf den Weg gegeben, die so abgehoben gar nicht klingen: Unternehmer sollten keine Risiken eingehen und den Hausverstand einsetzen. Ein Produkt, das nur „cool“ sei, verkaufe sich nicht.

Auch von Experten hält Bhargava, Gründer des Konzerns Living Essentials, der für das Aufputschgetränk „5-hour Energy“ bekannt ist, nichts. „Experten sagen dir, wie die Dinge sind, sie sind die Hüter der Vergangenheit.“ Wenn er heute in ein Unternehmen investiert, schaut er immer, dass es keinen „Exit-Plan“ hat, sagte Bhargava. „Wenn du wirklich etwas machen willst, sollst du nicht schauen, wie du da wieder raus kommst.“ Es wäre nachgerade lächerlich, so jemandem Geld zu geben.

Risiken mag der Milliardär auch nicht. „Unser Job als Unternehmer ist es, keine Risiken einzugehen, sondern sie wem anderen umzuhängen und sie zu minimieren.“ Das erste Prinzip im Geschäftsleben sei: „Verliere kein Geld.“ Und das zweite: Erinnere dich an das erste Prinzip.

Wer geschäftlich erfolgreich sein will, muss die Menschen kennen, ist Bhargava überzeugt. Mit einem Produkt – egal, ob hochtechnologisch oder nicht – müsse man entweder die Angst oder die Gier im Menschen ansprechen. „Die Leute müssen glauben: wenn ich das nicht kaufe, habe ich ein Problem.“ Wichtig sei auch, sich zu fragen: Würde ich das Produkt selbst verwenden? Wenn es nicht nützlich sei, müsse es zumindest unterhaltsam sein.

Unternehmer sollten auch schauen, dass sie Energiefresser loswerden – ob Mitarbeiter, Verkäufer oder Kunden. Und: Nicht die viel propagierte Leidenschaft („passion“) sei das Gebot der Stunde, sondern Entschlossenheit. Man müsse es schon aushalten, mehrmals zu scheitern und immer wieder aufzustehen.

Bald Teststrecken für selbstfahrende Autos

Der neue Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ) gab am Pioneers Festival bekannt, Teststrecken für selbstfahrende Autos in Österreich zu planen. Im Juni will er einen entsprechenden Aktionsplan vorstellen. Bis ins Jahr 2017 hinein sollen Autokonzerne bzw. Konsortien auf verschiedenen Arten von Straßen ihre Prototypen testen können. Die Ausschreibung ist in Vorbereitung, ebenso notwendige gesetzliche Änderungen.

Sein Ministerium, sagte Leichtfried, fördert Start-ups über die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) mit 70 Mio. Euro im Jahr. Rund 100 innovative Unternehmen bekommen über diese Schiene jährlich Geld vom Staat. Eines, die Helioz GmbH, hat ihre Idee auch am Pioneers Festival präsentiert. Das Unternehmen hat ein solarbetriebenes UV-Messgerät entwickelt, mit dem die Trinkbarkeit von Wasser bestimmt werden kann. 610.000 Euro an Förderungen haben die Wiener schon erhalten.

Auch die Entwickler von „Robo Wunderkind“, einem lego-artigen Roboter, mit dem Kinder spielerisch programmieren lernen können, waren am Pioneers Festival. Das erst 2015 gegründete Unternehmen wurde ebenfalls vom Infrastrukturministerium gefördert, hat sich aber auch über eine Crowdfunding-Plattform knapp 247.000 Euro geholt. In den Handel kommen soll der Roboter jetzt doch erst Ende 2016, nicht wie geplant schon im Sommer.

Apps für Bauern, Schüler und Gestresste

Am Pioneers Festival in Wien war dieses Jahr wieder eine bunte Mischung aus Start-ups vertreten – ob Roboter, FinTechs oder relativ „greifbare“ Handy-Apps. Ein Bereich, der neben der Finanzbranche immer digitaler wird, ist die Landwirtschaft. Das österreichische Jungunternehmen Farmdok und die russische Firma WiseSoil wollen da vorne mitmischen.

Farmdok hat eine Software entwickelt, mit der Landwirte ihre Dokumentationspflichten, zum Beispiel, welche Düngemittel sie verwenden, schneller erfüllen können. „95 Prozent der österreichischen Bauern dokumentieren noch mit Zettel und Stift“, sagte Farmdok-Mitgründer Andreas Prankl zur APA. „Wir haben eine App entwickelt, mit der wir die Dokumentation vom Büro zurück aufs Feld bringen“ – und zwar mit einer Handy-App.

Via GPS erkennt das System die Fahrmuster der Traktoren und zeichnet so automatisch auf, wenn der Landwirt gepflügt oder gedüngt hat. Die so gewonnenen Daten helfen den Landwirten nicht nur beim Festhalten der gesetzlich nötigen Daten, sondern auch wirtschaftlich, meint Prankl. 1.200 Landwirte haben Farmdok schon probeweise ausprobiert, eine neue Version soll bald herauskommen. Das Jungunternehmen aus Wieselburg in Niederösterreich wurde von der staatlichen Förderbank aws unterstützt und ist gerade dabei, frische Gelder zu lukrieren.

Auf der Suche nach österreichischen Geschäftspartnern ist auch das russische Start-up WiseSoil. Konkret schaut sich Gründer Aleksandr Smotritskiy nach Biogasanlagenbetreibern um. „Davon gibt es in Österreich und Deutschland einige, aber vielen von ihnen geht es wirtschaftlich schlecht.“

Biomasse schneller umwandeln

WiseSoil hat ein Modul für Biogasanlagen entwickelt, mit dem die Biomasse (Kuhmist vermischt mit Stroh) schneller und effizienter in Energie umgewandelt werden kann. „Wir können die Verarbeitungszeit halbieren“, so Smotritskiy zur APA. WiseSoil behandelt den Mist vor, portioniert ihn etwa in kleinere Teile und nimmt den Sauerstoff heraus. „Aus einer Tonne Mist machen wir so 100 statt 50 Kubikmeter Methan.“ Und: Es bleibe auch kein Schmutzwasser über, sondern Trockendünger und sauberes Wasser.

In einem ganz anderen Bereich ist das österreichische Start-up Talentify tätig: Der Tiroler Bernhard Hofer und seine Frau Doris haben eine Online-Vermittlungsplattform für Nachhilfe gebaut. In Österreich geben Eltern jährlich mehr als 100 Mio. Euro für Nachhilfe aus, denn „wir haben ein extrem sozial selektives Schulsystem“, so Hofer. Auf Talentify bieten sich nun Schüler an, die anderen Schülern Nachhilfe geben wollen. Bis zu 10 Euro können sie dafür pro Stunde verlangen. „Wir haben schon 2.500 aktive Nutzer in ganz Österreich“, so Hofer.

Talentify finanziert sich zu 80 Prozent über öffentliche Förderungen. „Unser Ziel ist, mittelfristig 50 Prozent unserer Ausgaben durch eigene Umsätze zu verdienen. Aber jeder Euro Gewinn fließt wieder zurück.“ Gestartet ist Talentify im März 2015. In der Zwischenzeit arbeitet Talentify auch mit Unternehmen zusammen. „Viele kleine und mittlere Unternehmen tun sich schwer, Lehrlinge auszubilden. Wir können ihnen helfen. Die Unternehmen schicken die Lehrlinge zu uns in die Talentify Academy.“

Unternehmen finden Lehrlinge

Die Firmen zahlen dafür 20 Prozent des Bruttojahresgehaltes eines Lehrlings, können sich aber pro Lehrling bis zu 1.000 Euro von der Wirtschaftskammer zurückholen. Das neue Projekt von Hofer heißt Talentify Works. „Wir helfen Unternehmen, die richtigen Lehrlinge zu finden. Wir kennen sie ja als Schüler schon.“ Kleine Firmen, die Zugang zum Schüler-Pool von Talentify wollen, sollen dafür jährlich 490 Euro im Jahr zahlen, große Konzerne 2.190 Euro.

Mit dem Hype-Thema Achtsamkeit beschäftigt sich der Schwede Magnus Fridh. Er hat eine App entwickelt, mit der Menschen meditieren lernen können. Eine Million Mal ist die „Die-Achtsamkeits“-App, wie sie auf Deutsch heißt, schon heruntergeladen worden. Schritt für Schritt werden die Nutzer an das Thema herangeführt, beginnend mit einfachen Atemübungen. Fortgeschrittene können sich dann Kurse von bekannten Achtsamkeits-Lehrern zu Spezialthemen anhören. „Mit einem Smartphone kann man sich richtig stressen oder aber runterkommen“, sagt MindApps-Gründer Fridh zur APA.

Unterdessen ist die Dating-App „whispar“ aus der Schmiede des Wiener Start-up-Unternehmers Florian Gutmann in Amsterdam als „Best New Dating App 2016“ ausgezeichnet worden. Die Ende April in Österreich und Deutschland gelaunchte Anwendung punktete mit ihren innovativen Audio-Applikationen. Die App stellt auch beim Online-Kennenlernen das Element Stimme in den Mittelpunkt. Via „whispar“ können Partnersuchende den Audio-Profilen ihrer Favoriten lauschen, Sprachnachrichten übermitteln und anonym sowie kostenlos mit anderen Usern telefonieren.

Kern: Wir brauchen Start-ups

Unterstützung kam beim Festival auch von Neo-Kanzler Christian Kern (SPÖ). Seine Nachricht an die Start-up-Community: Wir brauchen euch. In Österreich gebe es im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch immer wenige Unternehmensgründer und wenige Universitätsabsolventen, die vorhaben, sich selbstständig zu machen, so der Kanzler. Auch werde hierzulande wenig privates Kapital in junge Unternehmen gesteckt – das durchschnittliche Investment liege bei nur 10 oder 11 Euro pro Kopf, im Europa-Schnitt seien es 35 Euro.

Start-ups hätten „absolute Toppriorität“. Ob sich das auch in mehr Geld für innovative Jungunternehmer abbilden wird, ließ er aber offen. „Wenn Sie mich heute nach einer konkreten Zahl fragen, sage ich, schonen Sie mich noch ein bisschen“, so Kern zur APA. Am Ende des Tages müsse man freilich alles in Geld abbilden. Er wolle sich jetzt gemeinsam mit dem im Start-up-Bereich aktiven Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) hinsetzen „und überlegen, wie wir das Geld des Steuerzahlers so effizient wie möglich einsetzen.“ Die Republik bekomme von Start-ups viel zurück, ist Kern überzeugt.

Österreich stehe vor zwei großen Herausforderungen. „Wir müssen die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Wettbewerbsfähigkeit stärken.“ Die Innovationsdynamik gehöre beschleunigt und das Bildungssystem verbessert. Der Staat könne das nicht alleine machen, sondern müsse mit der Wirtschaft zusammenarbeiten. „Die Rolle von Start-ups ist hier von größter Wichtigkeit“, sagte Kern – und versprach mit einem „High Five“, dass er nächstes Jahr wiederkommen werde.

Kerns Vorgänger Werner Faymann (SPÖ) war in den vergangenen Jahren nicht zum Pioneers Festival gekommen. In der Branche wertet man Kerns Auftritt als wichtigen symbolischen Akt, sei doch der Start-up-Geist im Land noch immer unterentwickelt. Vor allem an Wachstumsfinanzierung fehle es.

Service: Informationen unter https://pioneers.io/festival2016/