Kategorie Innovation & Technologie - 7. Dezember 2017

Raumplanung beWEGt: Mobilität aktiv mitgestalten

„Allein mittels Top-down-Planung kann die Lebensqualität der Menschen meiner Meinung nach nur sehr schwierig verbessert werden. Wer mit den Konsequenzen von Raumplanung leben muss, sollte unbedingt mit ins Boot geholt werden, um aktiv mitgestalten zu können.“

Ein Interview mit der Raumplanerin Nicole Ringer 

Die Doktoratsstudentin der TU Wien forscht am Department Raumplanung und Raumordnung in Kooperation mit dem Planungs- und Beratungsbüro RaumRegionMensch zu aktiven Fortbewegungsarten wie Radfahren und Gehen.

Sie ist eine von 13 Dissertantinnen und Dissertanten, die für ihre Forschung zum Thema Mobilität der Zukunft vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) gefördert wurde. Wir haben ihr einige Fragen zu ihrem Dissertationsprojekt „beWEGt – aktive Mobilitätsformen und BürgerInnenbeteiligung“ gestellt:

Aktive Mobilitätsformen und BürgerInnenbeteiligung – was kann man sich genau unter dem Thema vorstellen?

Das Hauptthema der Forschungsarbeit ist aktive Mobilität. Diese umfasst alle Fortbewegungsarten, die durch die eigene Muskelkraft angetrieben werden. Die wichtigsten Vertreter in unserem Alltag sind Gehen und Radfahren, aber auch Sonderformen, wie Rollerskaten oder Skateboarden, sind Ausprägungen aktiver Mobilität.

Ich habe mit zwei Gemeinden in Niederösterreich zusammengearbeitet: Strasshof an der Nordbahn und Wolkersdorf im Weinviertel. Die Idee war kreativere Methoden der BürgerInnenbeteiligung mit dem Hintergrund Mobilität auszuprobieren und herauszufinden, wie man die Leute erreicht. Mit den Ergebnissen wer teilgenommen hat und wer nicht und den jeweiligen Gründen kann man daraufhin die angewendeten Methoden verbessern. Für zukünftige Projekte hat man mehr Wissen, welche Methoden man gezielt einsetzen kann, um BürgerInnenbeteiligung im Kontext Mobilität erfolgreich durchzuführen.

Warum interessieren Sie sich gerade für das Thema aktive Mobilitätsformen?

Die sozialen Aspekte der Raumplanung haben mich immer schon interessiert. Es gibt Studien die zeigen, dass 25 Prozent der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, unter fünf Kilometer sind. Diese vier bis fünf Kilometer wären mit dem Rad locker zu schaffen, alles was noch kürzer ist, wäre zu Fuß zu bewältigen. In der Stadt wird das mit Unterstützung der Öffis schon eher gelebt, am Land hingegen werden Gehen und Fahrradfahren eher als Freizeitaktivitäten gesehen, die man nicht unbedingt für Alltagswege anwendet. Man nutzt es seltener, um in die Arbeit zu kommen oder Einkäufe zu erledigen, weil das subjektive Gefühl, dass der Weg zu weit ist, am Land größer ist, auch wenn das vielleicht gar nicht stimmt. Das Potential für mehr aktive Mobilitätsformen ist somit auch im ländlichen Raum da. Das war der Aufhänger und das initiale Interesse an dem Thema.

Warum haben Sie die Gemeinden Strasshof und Wolkersdorf für Ihre Dissertation ausgewählt?

Ich wollte mit Gemeinden arbeiten, die in Relation zu Wien ähnliche Voraussetzungen haben. Beide haben einen S-Bahn-Anschluss und sind in etwa gleich weit von Wien entfernt, d.h. es gibt eine ähnliche Pendlerinnen- und Pendlersituation. Sie sind jedoch von den anderen Ausgangssituationen sehr unterschiedlich – Wolkersdorf ist eine große Gemeinde mit vielen Katastralgemeinden und auch von der Topographie recht anspruchsvoll, das heißt es gilt einige Höhenunterschiede zu überwinden. Strasshof ist eigentlich ganz flach und auch dichter bebaut. Dort besteht die Herausforderung darin, dass die Bundesstraße mitten durch den Ort durchgeht und ihn in zwei Teile schneidet, in einen Nord- und einen Südteil. Das heißt, wir haben bei beiden Gemeinden eine Barriere.

Welche Methodik wurde angewendet?

Es waren klassische Erhebungen dabei, wie z.B.: an Bahnhöfen und Schulen stehen und zählen, wie die Leute hinkommen, ob mit dem Auto, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Dann gab es noch kreativere Methoden, wie das sogenannte  „Kreativpaket“. Dieses Paket bestand aus Bastelmaterial, einer Karte des Ortes und einem Mobilitätstagebuch. In diesem Tagebuch konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Woche lang protokollieren, wie sie sich fortbewegen und ob das Fortbewegungsmittel angenehm ist. Weiters sollten sie auf einer Karte einzeichnen, wo sie gerne zu Fuß unterwegs sind, wo nicht und welche Gründe das haben könnte. Diese Methode sollte helfen einen Überblick bekommen, ohne die Daten mit einem klassischen Fragebogen zu erheben. Mit dem Kreativpaket hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Chance selber aktiv zu werden, sich auf Ihre Art auszudrücken und aktiv mitzugestalten.

Welche Themenschwerpunkte haben Sie gesetzt und kann man schon ein erstes Fazit ziehen?

Die Themenschwerpunkte waren unterschiedlich. In Wolkersdorf ging es um eine Begegnungszone, die zu diesem Zeitpunkt tatsächlich gerade am Entstehen war. Bei diesem Thema gibt es generell recht viel Unsicherheit, wie dieses Konzept genau funktioniert, was man in einer Begegnungszone darf und was nicht.

In Strasshof war die Bundesstraße das große Thema. Wenn es darum geht diese zu überwinden, entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad, stellt das eine große Schwierigkeit dar. In dieser Zeit haben wir mit auf den auf die Gemeinde zugeschnittenen Themen zwei Tage mit den Bewohnerinnen und Bewohnern vor Ort gearbeitet.

Im Abschlussfragebogen des Projektes sollte noch einmal erhoben werden, wie viele Personen aus welchen Gründen bei dem Angeboten mitgemacht haben oder nicht bzw. ob sie generell interessiert daran sind sich an Projekten dieser Art aktiv zu beteiligen.

Eine erste Auswertung der Abschlussfragebögen zeigte folgende Grundstimmung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf: Prinzipiell ist ein Interesse zur Beteiligung da, jedoch hält viele die Unsicherheit ab, ob die Befragung wirklich ernst genommen wird. Des Weiteren spielt das Format eine große Rolle, denn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen mitmachen, aber möglichst wenig Zeit investieren. Deswegen sind Methoden gerne gesehen, die online verfügbar sind und bei denen man nirgends extra hingehen muss. Das ist natürlich eine Diskrepanz – sich einbringen zu wollen, ohne Zeit darauf zu verwenden ist naturgemäß schwierig. Das sind vorläufig die wichtigsten Ergebnisse und schon ein erster Anhaltspunkt, wo man in Zukunft weiterarbeiten kann und sich überlegen muss, wie man diese Diskrepanz überwindet. Die endgültige Auswertung des Abschlussfragebogens ist derzeit in Bearbeitung.

Wie können aktive Mobilitätsformen im ländlichen Raum allgemein gestärkt werden?

Dazu braucht es, und das hat auch meine Untersuchung ergeben, mehrere Säulen. Zum einen muss geeignete Infrastruktur vorhanden sein. Derzeit ist der öffentliche Raum klar zugunsten des MIV (Motorisierter Individualverkehr) aufgeteilt. Hier wird es eine Umschichtung zugunsten aktiver Mobilitätsformen brauchen, um sichere und attraktive Infrastruktur für das Gehen und Radfahren herzustellen. Zum anderen braucht es Bewusstseinsbildung. Ich halte wenig davon Menschen zu zwingen, auf ihr Auto zu verzichten und aufs Fahrrad umzusteigen. Viel wichtiger wäre es, wenn sie selbst den Vorteil darin erkennen und aus eigenem Antrieb Verhaltensweisen überdenken und anpassen. Auf diese Weise sind Lösungen nachhaltig implementierbar.

Noch einmal zurück zu „beWEGt“: Was wünschen sich die Befragten? Wie ist der Grundtenor in Wolkersdorf und in Strasshof?

Für die Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinden stand auch die Frage der Infrastruktur im Mittelpunkt. Fehlende, schlecht ausgebaute bzw.  schlecht instandgehaltene oder schlichtweg zu schmale Rad- und Gehwege halten davon ab, auf nachhaltige Mobilitätsformen umzusteigen. Auch die Gestaltung von Verkehrs- und Aufenthaltsräumen spielt für die Bewohnerinnen und Bewohner eine große Rolle. Die Schlagwörter Grün und Wasser – eine Gestaltung, die Naturelemente in den Straßenraum bringt – sind zum Beispiel häufig gefallen.

Hat sich in den Gemeinden bereits spürbar etwas geändert? Bis wann sind die finalen Ergebnisse der Dissertation zu erwarten?

Der Zeitraum, um Änderungen zu beobachten, ist noch zu kurz. Zur zweiten Frage: Der Abschluss der Dissertation mit den finalen Ergebnissen ist für das erste Quartal 2018 geplant.

 

INFObox: Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) förderte in den letzten drei Jahren insgesamt 13 Dissertantinnen und Dissertanten im Bereich Mobilität der Zukunft. Die Förderung soll den Studierenden Einstiegsmöglichkeiten in das Berufsleben der angewandten Forschung in die Zukunftsfelder der Mobilität bieten. Das bmvit hat diese Förderung mit einem Vernetzungsformat verknüpft, das den Studierenden die Gelegenheit zum fachlich-inhaltlichen wie zum persönlichen Austausch geboten hat. Mehrmals jährlich fanden Workshops und Exkursionen in relevanten Unternehmen und Einrichtungen der angewandten Forschung statt.