Kategorie Innovation & Technologie - 27. Januar 2016

Schadet, was uns verbindet?

Ein Handymast erzeugt Kopfschmerzen, Konzentrations- und Schlafstörungen, Depressionen, ja sogar Libidoverlust. Oder er löst rein gar nichts aus, auch wenn man direkt daneben wohnt. Die Annahmen, was elektromagnetische Felder, die von Mobilfunksendern ausgehen, im menschlichen Körper bewirken, könnten unterschiedlicher nicht sein. Ein österreichisches Forscherteam aus Psychologen, Medizinern und einem Statistiker verglich nun unterschiedliche internationale Studien. Das Ergebnis: Effekte lassen sich nicht nachweisen. Wer allerdings weiß, dass er exponiert ist, fühlt sich schlechter.

Das Thema ist heikel, die Angst oft groß. Die Forscher formulieren ihre eben im Fachmagazin „Science of the Total Environment“ veröffentlichten Ergebnisse daher vorsichtig: „Allein das Wissen um den vermeintlichen Schadensauslöser führt dazu, dass die Leute ein Symptom zeigen“, sagt Studienautor Alfred Barth von der Sigmund Freud Universität in Linz.

Viele Studien zusammenfassen

Was die Forscher fanden, war ein sogenannter Nocebo-Effekt, das – negativ gefühlte – Gegenteil des bekannteren Placebo-Effekts: Demnach tritt ein Symptom dann auf, wenn die Versuchsperson weiß, dass der vermeintliche Auslöser vorhanden ist. Der Placebo-Effekt wiederum besagt, dass die positive Wirkung eines Medikaments davon abhängt, ob der Patient weiß, dass dieses da ist oder nicht. So lindert Traubenzucker etwa Kopfschmerzen, weil der Mensch an eine Besserung glaubt und der Körper Botenstoffe freisetzt, die tatsächlich Besserung bringen.

Warum aber unterscheiden sich die Ergebnisse von Studien zum Einfluss von Mobilfunkmasten auf den Menschen so stark? Schuld daran sind die vielen verschiedenen Studiendesigns. „Nicht nur die Expositionsbedingungen lassen sich sehr stark variieren, die Forscher rund um den Globus interessieren sich für ganz unterschiedliche Symptome, von denen es eine sehr große Bandbreite gibt“, so Barth. Daher kursieren unzählige Studien mit teils völlig verschiedenen Aussagen.

Die Forscher entschieden sich daher, eine sogenannte Metastudie durchzuführen – ein Verfahren, bei dem Einzelstudien zu einer großen Studie zusammengefasst werden. „Metaanalysen führt man immer dann durch, wenn es zu einer bestimmten Frage sehr viele unterschiedliche Ergebnisse gibt, so dass Wissenschaftler, Politiker oder Konsumenten nicht mehr wissen, was richtig und was falsch ist“, erklärt Barth. Dadurch lassen sich aussagekräftigere Ergebnisse gewinnen, die unterschiedlichen Studiendesigns erschweren aber mitunter die Vergleichbarkeit.

Datenbank durchforstet

Für ihre Analyse durchforsteten die Forscher die wissenschaftliche Datenbank PubMed. Dort wählten sie Studien aus, bei denen der Einfluss auf das Wohlbefinden Erwachsener, etwa Kopfschmerzen oder Müdigkeit, untersucht wurde. Schwere Erkrankungen wie Krebs wurden ausgeklammert, hier ließen sich Ursachen in Experimenten oder Befragungen nicht beweisen. Zeitlich wurde die Suche nicht eingegrenzt, dennoch stammten alle Ergebnisse aus den letzten zehn Jahren. „Weil die Technologie neu ist, gibt es kaum ältere Studien“, sagt Barth, der als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Funk auch das Technologieministerium berät.

Die Forscher entschieden sich schließlich für 17 Publikationen, die je eines von drei verschiedenen Studiendesigns nutzten. Erstens Feldstudien, in denen erhoben wurde, ob Menschen, die nahe bei Handymasten wohnen, Symptome aufweisen, etwa, ob sie gut schlafen. Zweitens Experimente, bei denen die Exposition im Labor nachgestellt wird: Die Forscher „befelden“ dazu im Labor Versuchspersonen mit einem Apparat, der elektromagnetische Felder erzeugt. Das geschieht entweder unverblindet, also offen, oder doppelt verblindet – das ist das dritte Studiendesign, das die Forscher interessierte: Dabei wissen weder Forscher noch Versuchsperson, ob der Apparat hinter dem Vorhang gerade aktiv ist oder nicht.

„Vergleicht man alle Studien, so zeigen verblindete Untersuchungen keine Auswirkungen auf die Gesundheit. Unverblindete Experimente und Feldstudien kommen hingegen zu dem Schluss, dass es Auswirkungen gibt“, sagt Barth. Wer also weiß, dass elektromagnetische Felder auf ihn wirken, spürt Symptome: Der Nocebo-Effekt kommt zum Tragen.

Warum ist es so schwierig, klare Antworten zu finden, ob Mobilfunk den Menschen schadet oder nicht? Es sei in dieser Frage eben nicht wie bei einem Mord, wo ein Fingerabdruck oder eine DNA-Spur eindeutig zum Täter führt, sagt Barth. Zu komplex seien sowohl die Umwelt als auch der Mensch, um ein Symptom zweifelsfrei einer Ursache zuzuordnen.

Der Psychologe und Philosoph versteht, dass sich Politiker wie auch Konsumenten eindeutige Aussagen wünschen. Diese gäbe es aber nicht. Bestimmte methodische Probleme seien nicht in den Griff zu bekommen. Daher könne letztlich auch niemand mit absoluter Sicherheit sagen, was passiert, wenn jemand zehn Jahre lang unter einem Handymasten wohnt. (Von Alice Grancy, Die Presse, 30.1.2016)