Kategorie Mobilität - 17. Oktober 2016

Schrankenlos durch die Lüfte: Barrierefreiheit auf Flugreisen

Wien – Sitzplatz suchen und sich anstellen, bis man zu seinem Platz vordringen kann, Handgepäck verstauen und sich selbst in die enge Sitzreihe „einschlichten“, beim Gang zur Toilette wieder heraus- und hineinklettern: Eine Flugreise ist anstrengend. Noch viel anstrengender ist sie aber für Menschen, die körperlich beeinträchtigt sind; für Menschen, deren Hör- oder Sehfähigkeit eingeschränkt ist oder die auf einen Rollstuhl angewiesen sind.

Europas Fluglinien gehören in Sachen barrierefreies Fliegen nicht zu den globalen Spitzenreitern. Japan ist hier ein internationales Vorbild, und auch in den USA müssen Flugzeuge etwa bereits über eine barrierefreie Toilette verfügen. Um hier neue Impulse für die europäische Luftfahrt zu setzen, hat das Sondierungsprojekt „Cabin4all“, das im Rahmen des Programms „Take off“ der Förderagentur FFG vom Verkehrsministerium finanziert wurde, Betroffene und Vertreter von Fluglinien und Industrie zusammengebracht.

„Ziel war es, zu untersuchen, welche Maßnahmen sinnvoll sind – unter Miteinbeziehung jener Grenzen, die von der Wirtschaftlichkeit und der technischen Umsetzbarkeit gesetzt werden“, erklärt Bernhard Rüger, Projektleiter und Geschäftsführer der Wiener Projektentwicklungsfirma Netwiss, die „Cabin4all“ gemeinsam mit Forschern der Technischen Uni Wien und der FH Joanneum sowie Beratern von Rodlauer Consulting umsetzte.

„Bei Flugreisenden im Rollstuhl funktioniert es heute so, dass sie mittels Flughafen- und Bordrollstuhl bis an ihren Platz gebracht und auf einen normalen Platz umgesetzt werden. Auch beim Besuch der Toilette müssen die Fluggäste erneut auf einen Bordrollstuhl wechseln“, erklärt Rüger. „Je nach Krankheitsbild kann das nicht nur beschwerlich, sondern auch schmerzvoll sein.“

Um die einhergehenden Prozeduren zu erleichtern, gibt es etwa Konzepte von verschiebbaren Sitzschalen, die den Wechsel von Rollstuhl auf Flugzeugsitz erleichtern. Die Toiletten, in denen Personen, die in der Mobilität beeinträchtigt sind und keine Begleitperson dabeihaben, alleine zurechtkommen müssen, könnten durch entfernbare Zwischenwände erweitert werden. Bisher müssen Toiletten nur auf Langstrecken barrierefrei sein.

Derartige Veränderungen sind in der Luftfahrt mit ihren aufwendigen Sicherheitstests bei neuen Technologien eher langfristig anzusetzen, so Rüger. Bei Maßnahmen wie breiteren Gängen oder Verankerungen für Bordrollstühle, die mit einer Einbuße von Sitzplätzen einhergehen, müsse es zudem einheitliche gesetzliche Grundlagen geben, um Wettbewerbsnachteile für jene Fluglinien zu verhindern, die solche Infrastruktur umsetzen.

Mögliche Maßnahmen für beeinträchtigte Fluggäste, die via Online- und Vor-Ort-Umfragen erhoben wurden, reihten die Studienautoren in ein Ranking, das den Nutzen für die betroffenen Personen, die Personenanzahl sowie technische und ökonomische Umsetzbarkeit widerspiegelt.

Braille-Beschriftung und App

Ganz oben auf der Liste stehen relativ leicht umsetzbare Maßnahmen wie Blindenleitsysteme mit Sitz- und Toilettenbeschriftungen in Brailleschrift, ein einheitlicher Umgang mit Begleitpersonen sowie Personalschulungen, die befähigen, passend auf die Anforderungen beeinträchtigter Fluggäste reagieren zu können.

Auf dem ersten Platz der Empfehlungen steht eine Maßnahme, die Kommunikation und Abläufe für betroffene Personen wie für Fluglinien drastisch vereinfachen kann: eine App. Das Smartphone kann für Blinde Information als Sprache ausgeben und für Gehörlose akustische Informationen ersetzen. „Bei Menschen, deren Mobilität eingeschränkt ist, können alle Bedürfnisse und Anforderungen für den Flug vorab über die App übermittelt und somit besser von der Airline koordiniert werden“ , sagt Rüger.