29. Oktober 2016

Selfies, Pilze und ein Hightech-Fingerzeig

Pilze sind erstaunlich. Das Myzel, jene fadenförmigen Zellen, die zumeist wurzelartig unter dem Fruchtkörper in der Erde verlaufen, kann eine Ausdehnung von einem Quadratkilometer erreichen. In anderer Form begegnet uns Myzel als weiße Schicht, die den Camembert umschließt. Und in einer noch ganz anderen Weise verarbeitet das Indonesische Start-up Mycotech die Pilzfäden: Das Team rund um Adi Reza Nugroho verwendet sie als Bindemittel für ökologische Baustoffe, die aus landwirtschaftlichen Abfällen – etwa von Palmölplantagen – Tische, Wände, Decken, ganze Häuser machen.

Die Methode hat viele Vorteile: Reza sagt, der Baustoff, dessen Herstellung etwa zwei Wochen dauert, sei zehn Mal billiger als Beton. Lokale Landwirte verdienen durch die Abfallverwertung um 15 Prozent mehr. In Sachen Umweltschutz und Kohlenstoffdioxid-Ausstoß ist das Material natürlich kaum zu schlagen.

Mycotech ist eines jener Start-ups, die zurzeit im Rahmen der Initiative Global Incubator Networks (GIN) Österreich einen Besuch abstatten. Das Programm, das 2015 von Wissenschafts- und Infrastrukturministerium initiiert und vom Austria Wirtschaftsservice AWS und der Forschungsförderungsgesellschaft FFG betreut wird, will einerseits heimische Start-ups mit internationalen Investoren zusammenführen, andererseits internationalen Start-ups Österreich als Ankerpunkt in der EU schmackhaft machen.

Zwei Mal pro Jahr werden im Rahmen der „goAustria“-Förderlinie zehn junge Unternehmen aus den Kooperationsländern Japan, Singapur, Indonesien, Israel und der Metropole Hongkong eingeladen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie bereits erste Produkte und Erfahrung in ihren Heimatmärkten vorweisen können und gegebenenfalls am europäischen Markt Fuß fassen wollen. Beim nunmehrigen zweiten Durchgang waren neben dem Ökobaustoff-Start-up Mycotech die Elektronikentwickler 16Lab aus Japan dabei. Ihr Produkt zielt auf Mensch-Computer-Interaktion in einer Post-Smartphone-Ära ab, zeigte sich beim Pitchen, also bei kurzen Präsentationen der Gründer vor Investoren im Cowo Tirol. In dem vorübergehend eingerichteten Coworking Space am Innsbrucker Hausberg Patscherkofel waren die Unternehmer letzte Woche eingeladen.

Steuerung per Fingerring

16Lab hat einen multifunktionalen Fingerring entwickelt – ein kleines Stück Hardware, ausgestattet mit energiesparender Chiptechnologie, die platzsparend in den Ring gefaltet wurde. Für Geschäftsführer Ko Kijima ist es das kleinste Wearable-Modul, also das kleinste tragbare Stück Elektronik, der Welt. Der Ring erkennt dreidimensionale Gesten seines Trägers, um sie als Eingabeinformation für Computer, Smart-TVs und andere Geräte in der Umgebung zu verwenden. Genauso soll die Technik als Authentifikation, Zahlungstool oder digitaler Schlüssel funktionieren können.

Zukünftig könnte man damit also vielleicht per Handbewegung durch Fernsehkanäle zappen, einen Anruf entgegennehmen oder die Musiklautstärke steuern. Man könnte im Supermarkt zahlen, indem man die Hand an die Kassa hält, Apps am Smartphone oder PC starten oder elektronisch gesicherte Türen öffnen. Ankommende Meldungen am Telefon werden durch ein Vibrieren des Ringes angezeigt. Das Laden des Akkus funktioniert drahtlos an der Ladestation. Mittlerweile arbeitet das Start-up mit dem japanischen Elektronikhersteller Alps Electric zusammen, um Hard- und Software zu optimieren.

Wie sehr die Wirtschaft Gewinn aus personenbezogenen, digitalen Daten ziehen kann, demonstriert dagegen in sehr anschaulicher und fast beängstigender Weise die Geschäftsidee des Hongkonger Start-ups Brand Pit – benannt nach dem Boxenstopp in der Formel 1, nicht nach dem Schauspieler, wie Gründer TT Chu erklärt. Die Bilderkennungssoftware des Unternehmens durchsucht das Web nach frei verfügbaren Selfies – etwa auf Plattformen wie Instagram oder Twitter – und analysiert die abgebildeten Personen und Markenprodukte genau.

Biertrinker-Vergleich

Bei einem Bild biertrinkender Menschen am Strand werden also sowohl die Biermarke und gegebenenfalls andere Markennamen identifiziert, aber auch Geschlecht, ungefähres Alter und Emotionen, die eine Person zeigt, sowie ihr Umfeld klassifiziert. Marketingmanager sollen mit dieser Information ihre Zielgruppe besser kennenlernen und gezielter auf sie eingehen können. Werkzeuge wie Umfragen und Fokusgruppen könnten an Bedeutung verlieren.

Das Tool ist vor allem im Vergleich von Regionen und Marken aussagekräftig, erklärt Chu. Ein banales Beispiel: „Wir haben den Bierkonsum in Japan und Brasilien verglichen. Da wie dort wird eine Menge Bier getrunken. Aber es zeigt sich, dass die Umstände sehr unterschiedlich sind: In Japan trinkt man gewöhnlich alleine, in Brasilien trinkt man in der Gruppe.“ (von Alois Pumhösel, Der Standard)


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