Kategorie Innovation & Technologie - 22. Mai 2015

Stille Revolution der intelligenten Stromnetze

Die Fotovoltaikanlage auf dem Dach glänzt in der Sonne. Ihre Solarzellen wandeln Licht in elektrische Energie um, die ins Stromnetz eingespeist wird. Auch Windräder oder Biomassekraftwerke produzieren Energie. Umgekehrt gibt es auch neue Verbraucher, etwa die Ladestation für das Elektroauto in der Garage. Die Zeiten, in denen Strom nur in eine Richtung floss, sind vorbei. Erneuerbare Energie gelangt in Stromnetze, die nicht dafür geschaffen sind. Um diese fit für erneuerbaren Strom zu machen, testen Forscher im Smart-Electricity-Systems-and-Technologies-(SmartEST)-Labor des Austrian Institute of Technology (AIT) neue technologische Lösungen.

„Früher war vieles einfacher“, sagt Wolfgang Hribernik, der das AIT-Geschäftsfeld für elektrische Energiesysteme leitet. Kraftwerke produzierten Energie, Industrie und Haushalte verbrauchten sie. „Die Verteilnetze waren auf eine Energieflussrichtung ausgerichtet.“ Dann wurde vor rund fünfzehn Jahren erneuerbare Energie nach und nach wettbewerbsfähig, Ökostrom immer öfter dezentral produziert. Oft gäbe es lokal sehr unterschiedliche Anforderungen, etwa, wenn es in einer Region viele Kleinwasserkraftwerke oder viel Fotovoltaik gibt. Konventionelle Netze erreichten bald ihre Grenzen. „Die Strombelastungsfähigkeit der Leitungen stimmte nicht mehr“, so der Elektrotechniker.

 

Alte Netze besser nutzen

Was also tun, um rasch verlässliche und leistbare Lösungen zu erhalten, mit denen sich ehrgeizige nationale und europäische energiepolitische Ziele verwirklichen lassen? „Es galt, bestehende Netze intelligenter zu nutzen“, sagt Hribernik. Die Idee der Smart Grids war geboren (siehe Lexikon). Hribernik vergleicht das mit einer Straße, die zwar da ist, aber erst irgendwann eine Ampelregelung bekommt. Alles zu erneuern oder auszubauen wäre schlichtweg zu teuer. Stromerzeugung und -verbrauch wird daher im Netz ausbalanciert, dazu braucht es Kommunikation zwischen Erzeuger, Speicher und Verbraucher.

Schritt für Schritt folgten erste Demonstrationsprojekte, etwa in Salzburg, Oberösterreich oder Vorarlberg. Die Forschungsfragen, die alle Initiativen verband: Welche Probleme lassen sich mit welcher Lösung am besten beheben? Was ist technisch möglich und zugleich wirtschaftlich machbar? Und: Welche Lösung eignet sich für eine großflächige Nutzung am besten?

Weit weniger aufwendig lassen sich neue technologische Lösungen im Labor erproben. Im SmartEST-Labor kombinieren Wissenschaftler dazu Experimente mit Echtzeitsimulationen: Echte Komponenten werden mit Simulationen gekoppelt, reale und virtuelle Welt verknüpft. Der sogenannte Power-Hardware-in-the-Loop-Ansatz sei in dieser Form weltweit einzigartig, erklärt Hribernik stolz.

 

Erfahrungen fehlen

So werden etwa Wechselrichter für Fotovoltaikanlagen, also elektrische Geräte, die Gleichspannung in Wechselspannung umwandeln, getestet. „Mit Kupferkabeln oder Keramikisolatoren gibt es Erfahrungen, mit neuen Bauteilen nicht“, so der Forscher. Auch Batteriesysteme, regelbare Ortsnetztrafos oder Ladestationen für Elektrofahrzeuge werden getestet. Die Anlage ist so ausgerichtet, dass mehrere Komponenten gleichzeitig im Einsatz sein können – wie es auch die Praxis immer häufiger erfordert.

Mit Netzsimulatoren lassen sich im Labor unterschiedliche elektrische Zustände erzeugen, etwa Strom, Spannung und Frequenz beliebig variieren. Ganze Bürogebäude oder Netzabschnitte mit mehreren Gebäuden lassen sich so abbilden. Untersucht wird etwa, welche Wechselwirkungen die Komponenten erzeugen: Wie wirkt die neue Leistungselektronik auf das Netz und umgekehrt? Was passiert bei Netzfehlern und Spannungseinbrüchen?

Um zu testen, ob und wie sich die Zuverlässigkeit der Produkte über die Jahre entwickelt, lässt man sie in einer Klimakammer künstlich altern. Dazu werden in vollem Betrieb Wettereinflüsse nachgestellt. Temperaturen von minus 40 bis plus 120Grad Celsius und eine Luftfeuchtigkeit von bis zu 95 Prozent sind möglich, arktisches bis tropisches Klima also. Damit lassen sich auch kritische Betriebsszenarien simulieren. Wie verändern sich Materialien zum Beispiel bei extremer Hitze oder Feuchtigkeit, oder wenn die Bedingungen ständig wechseln? Die Tests erlauben Leistungsprognosen der Anlagen.

 

Das Licht soll brennen

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden war Teil eines Forschungsprojekts, gefördert vom Klimafonds aus Mitteln von Technologie- und Lebensministerium. Insgesamt wurden fast neun Millionen Euro in das 2013 eröffnete Labor investiert – Geld, das Unternehmen und Netzbetreibern aber wiederum hilft, Entwicklungszeit und damit -kosten zu sparen. Die Firmen kommen dazu aus der ganzen Welt, die Netzbetreiber vorwiegend aus Europa. Aber auch mit Technischen Unis, neben den heimischen etwa der ETH Zürich oder dem Karlsruher Institut für Technologie(KIT) wird kooperiert.

Auf dem Strommarkt ist mit den erneuerbaren Energieformen eine wahre Revolution ausgebrochen. „Es findet ein Paradigmenwechsel in der Energieinfrastrukturplanung und im Betrieb statt“, sagt Hribernik. Die Städte der Zukunft brauchten intelligente Energiesysteme, Smart Grids seien also ein Puzzlestein auf dem Weg zur Smart City. Der Kunde soll mit alldem freilich nicht belastet werden: „Gut ist, wenn er gar nichts merkt: Das Licht soll brennen, die Rechnung nicht höher sein“, so Hribernik.

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