Kategorie Innovation & Technologie - 3. Oktober 2016

Üben fürs All – Österreich als kleine Analogforschungs-Großmacht


APA/APA/ÖWF/Katja Zanella-Kux

Der Fantasie und dem Erfindungsreichtum von Forschern sind ja bekanntlich kaum Grenzen gesetzt. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass in Ermangelung realer Mond- oder Mars-Missionen trotzdem regelmäßig „Weltraummissionen“ stattfinden – nur eben auf der Erde. Gerade im Bereich der „Analogforschung“ sind vor allem zwei österreichische Forschungseinrichtungen sehr präsent. Vom Raumanzugtest in den Dachsteinhöhlen bis zur Generalprobe für ein All-Gewächshaus in der Antarktis reicht das Portfolio.

Groß war der Medienrummel, als 2012 Analog-Astronauten in die Dachsteinhöhlen in Oberösterreich einstiegen, um im Rahmen zahlreicher Experimente Technologien und Abläufe einer zukünftigen Mission zum Roten Planeten zu testen. Der damals eingesetzte rund 45 Kilogramm schwere „Aouda.X“-Raumanzug wurde vom Österreichischen Weltraum Forum (ÖWF) entwickelt, an der „Mission“ waren allerdings Wissenschafter aus zehn Ländern und drei Kontinenten beteiligt.

Wie international solche Vorhaben ablaufen, zeigte sich etwa daran, dass bei der Erprobung eines Kommunikationsausfalls zwischen der Erde und der Astronautengruppe auf dem „Mars“ fliegend auf eine Verbindung mit einem Kontrollzentrum in Wellington (Neuseeland) umgeschaltet wurde. Der Grund für die Durchführung in den alpinen Höhlen war, dass man im Rahmen einer Mars-Reise am ehesten in den dortigen Höhlensystemen Überreste oder tatsächliches Leben finden könnte.

Vom Dachstein in die Sahara…

Auch an einer der größten Simulationen einer Mission zum Mars unter europäischer Leitung im Jahr 2013 waren heimische Forscher federführend beteiligt. Über vier Wochen führten Wissenschafter aus 23 Nationen die „Marokko Mars Simulation 2013“ in der Sahara durch. Mit einem siebenköpfigen Team testeten die Österreicher vor allem die Raumanzüge „Aouda.X“ und „Aouda.S“ im Dauerbetrieb.

Im Zuge der Simulation führten sie 17 wissenschaftliche Experimente ausgehend vom österreichischen „Camp Weyprecht“ durch. Vom „Mission Support Center“ in Innsbruck aus wurde etwa die virtuelle Landung auf dem Roten Planeten koordiniert.

… und unter Wasser

Anhand dieser aufsehenerregenden Beispiele wird klar, wonach Analogforscher vor allem trachten: Nämlich nach der Erprobung von Konzepten unter Bedingungen, die jenen ähnlich sind, die man auf dem Mond oder eben dem Mars vorfinden würde. Bei dieser Form des „Trockentrainings“ setzen Forscher allerdings nicht nur auf Höhlen oder Wüsten. Sie gehen dafür auch baden.

So etwa im Rahmen der europäischen „Moonwalk“-Mission, an der die Wiener Weltraum-Architekturplattform Liquifer maßgeblich beteiligt ist: Neben ausgedehnten Tests in einem Erz-Tagbau nahe der Stadt Sevilla in Spanien tauchte man heuer auch nahe Marseille in Wasserbecken und im Mittelmeer ab, um die verminderte Anziehungskraft des Mars zu simulieren.

Mensch und Maschinen müssen miteinander auskommen

In vielerlei Hinsicht gehe es auf Analogmissionen schon ziemlich realistisch zu, wie Liquifer-Direktorin Barbara Imhof anlässlich des „Moonwalks“ der APA erklärte. Als technologische Kernstücke dieses von der EU geförderten Forschungsprojektes fungierten der Mars-Rover „YEMO“, der von den Astronauten mittels Gesten gesteuert werden kann, das von Liquifer designte selbstentfaltende Habitat mit dem Namen „Self-deployable Habitat for Extreme Environments – SHEE“ und ein neuer Raumanzug.

Die Handlungsanweisungen wurden von österreichischen Projektpartnern erstellt. Auf deren Grundlage lief die Kommunikation über ein Tablet, über das der Astronaut wichtige Informationen über seinen Zustand erhält und den Rover steuern kann. Die Kommunikation mit den Kontrollzentren in Brüssel und am Georgia Institute of Technology in Atlanta (USA) erfolgte wie bei einer echten Marsmission zeitverzögert.

Leben sollte nicht mitgebracht werden

Besonders an dem Missions-Konzept ist unter anderem, dass der Astronaut direkt aus dem Habitat in den Raumanzug steigt und sich dann abdockt. Das sei wichtig, weil sichergestellt werde, dass er nichts Irdisches auf die fiktive Mars-Oberfläche mitbringt. „Denn man möchte ja am Mars nicht Leben finden, das man selbst mitgebracht hat“, sagte Imhof.

Eine der Forschungsfragen bezieht sich bei vielen Analogmissionen darauf, ob und wie sich die Kommunikation zwischen Mensch und Roboter bzw. Mensch und Mensch unterscheidet. Denn die Qualität der Beziehung zwischen Mensch und Maschine könnte auf einer langen Marsmission entscheidend sein. „Der wirkliche Hebel, den wir in der Analogforschung bewegen, liegt auf der operativen Seite“, davon gab sich auch der Chef des ÖWF, Gernot Grömer, im Gespräch mit APA-Science überzeugt. Man habe bereits viel darüber herausgefunden, wie neue Technologien dazu eingesetzt werden können, um die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine bestmöglich zu gestalten.

Experte sieht neuen Schwung durch „Game-Changer“-Technologien

Bei einer zukünftigen bemannten Marsmission sei davon auszugehen, dass ein 3D-Drucker, ein Roboterfahrzeug und vermutlich auch eine Drohne mit an Bord sein werde – alles Dinge, die vor kurzem noch gar nicht auf dem Technologie-Bildschirm waren. „Das sind aber echte ‚Game-Changer'“, so Grömer.

Das hätte auch Auswirkungen auf die wiederkehrende Debatte darüber, ob es nicht klüger wäre, weiter auf reine Roboter-Missionen zum Mars zu setzen, da dies weit günstiger wäre als Astronauten auf eine Hin- und Rückreise zu schicken. „Raumsonden sind viel billiger“, erklärte etwa Wolfgang Baumjohann, Direktor des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erst im April in Wien. Eine bemannte Mars-Mission würde ungefähr 400 bis 500 Milliarden Euro kosten, bei den Sonden liege man hingegen bei nur zwei Milliarden Euro.

Mars-Reise vor allem politische Frage

Außerdem würde die Untersuchung von verschiedenen Orten auf dem Roten Planeten die Chancen auf Entdeckungen deutlich erhöhen, da es auf dem Mars sehr unterschiedliche Landschaften gebe. „Das ist mit Robotern machbar, mit Menschen nicht.“ Letztendlich werde sich der Forschergeist aber nicht bremsen lassen. „Der Mensch will dahin, wo er hin kann“, gab sich auch Baumjohann überzeugt. Das sei keine wissenschaftliche oder technische Frage, „sondern eine politische – konkret eine Frage des Geldes“, so der Geophysiker.

Mit den angesprochenen neuen Technologien zeichne sich nun eine durchaus salomonische Lösung ab: „Wir sind von der Debatte weg, ob wir Menschen oder Roboter irgendwo hinschicken wollen. Wir wollen Roboter und Mensch schicken, weil sie sich gegenseitig gut ergänzen können“, zeigte sich Grömer überzeugt. Dass könne man mit Daten aus der Analogforschung gut belegen.

Insgesamt sei der Bereich aber zu einem sehr bunten Feld geworden, wo sich auch Akteure tummelten, die nicht unbedingt die nötigen Qualitätskriterien erfüllten, so der ÖWF-Chef. Daher arbeite man mit internationalen Kollegen an einem einschlägigen Kriterienkatalog. „Das würde der Branche gut tun“, sagte Grömer.

Ein Glashaus für die Antarktis und die ISS

Neben den großen Fragen zu übergeordneten Visionen, zur Finanzierung oder über die Analogforscher-Community selbst, fokussieren sich Wissenschafter auf der Erde aber auch auf eher bodenständige Weltraum-Themen. So will man etwa im Rahmen des EU-Projekts „EDEN ISS“ das bisher ungelöste Problem der Ernährungssicherheit auf bemannten Langzeit-Raumflügen oder Außenposten auf fremden Himmelskörpern angehen. Auch hier setzt man selbstverständlich auf Erprobung an einem besonders unwirtlichen Ort auf unserem Heimatplaneten.

So entwickeln Wissenschafter ein Gewächshaus, das auch am Mond oder Mars funktionieren soll. Ab Dezember 2017 wird es in der Antarktis erprobt, später soll es einen Testlauf auf der ISS geben. Vorgestellt wurde das Projekt kürzlich bei einer Konferenz in Wien.

Gemüse für das All

Unter Federführung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sind 13 Organisationen an dem Projekt beteiligt. In einem speziellen Container (rund zwölf Meter lang, 2,5 Meter breit und knapp drei Meter hoch) sollen unter ähnlichen Bedingungen wie auf einer Weltraumstation Pflanzen bei künstlichem Licht und mit Nährstofflösungen aufgezogen werden. Konkret geht es um den Anbau verschiedener Salat- und Kräutersorten, von Gurken, Paradeisern, Paprika, Spinat, Mangold und vielleicht sogar Erdbeeren.

Die Experten von Liquifer haben u.a. am Innendesign des Containers mitgearbeitet. Der Innenraum sei dreigeteilt, mit einer Schleuse, einem Arbeitsbereich, wo sich ein Arbeitsplatz für Untersuchungen, die Nahrungsversorgung für die Pflanzen und die Luftaufbereitung befindet, sowie dem eigentlichen Gewächshaus. „Wir hoffen, Erkenntnisse darüber zu bekommen, wie man sehr engen Raum möglichst intensiv nutzen kann“, sagte Imhof.

Forschung als Lehrstück für Ressourcennutzung

Angesprochen auf die Auseinandersetzung mit diesen Themen hebt die Weltraumarchitektin aber auch immer wieder irdische Aspekte hervor: Man lerne in der Analogforschung nämlich viel über nachhaltige Nutzung von knappen Ressourcen auf besonders engem Raum. In den immer größer werdenden Städten auf der Erde könnten solche Konzepte bald sehr gefragt sein, und mit Fragen der Nachhaltigkeit müsse man sich global insgesamt viel stärker auseinandersetzen. „Es schärft auch das Bewusstsein dafür, dass auch die Erde ein Raumschiff ist, von dem man sich gut überlegen muss, wie man damit umgeht“, so Imhof.

Service: Projekt-Homepages: http://www.shee.eu/news; http://www.projectmoonwalk.net/moonwalk, http://eden-iss.net, http://oewf.org/portfolio/marokko-mars-2013

Diese Meldung ist Teil eines umfangreichen Dossiers zum Thema bemannte Raumfahrt, das auf APA-Science erschienen ist: http://science.apa.at/dossier/raumfahrt.