Kategorie Innovation & Technologie - 21. Juni 2019

Unerschütterlich: TU Wien zeigt auf Paris Air Show Technik gegen Turbulenzen

Die Luftfahrtbranche trifft sich zur wichtigsten Messe des Jahres in Frankreich. Die großen Player buhlen um Vormacht und darum, möglichst viele Bestellungen in die Auftragsbücher schreiben zu können. In Le Bourget, einer kleinen französischen Gemeinde nordöstlich von der Hauptstadt findet vom 17. bis 23. Juni 2019 die Pariser Luftfahrtmesse, die weltgrößte ihrer Art, nun zum 53. Mal statt.

Auf dem Salon International de l’Aéronautique et de l’Espace oder einfach Paris Air Show, die erneut alle Größen der Branche vereint, beweisen derzeit wieder mehrere heimische Unternehmen, dass sie zu festen Größen im Luftfahrtgeschäft zählen. Wohlbemerkt vielleicht nicht ganz so glatt wie sonst, da die Stimmung auf der Messe durch globale Zollkonflikte, die Eintrübung der Weltkonjunktur und wachsende geopolitische Spannungen etwas gedämpft ausfallen könnte. Auch Boings Desaster nach zwei Abstürzen und folgendem Startverbot der 737 MAX scheint noch immer nicht gänzlich verdaut.

Dennoch: Flugzeugteile aus Österreich stecken in so gut wie jedem Flugzeug. Viele Firmen dahinter sind in der Luftfahrtbranche bereits etabliert, andere gerade dabei, Märkte und Auftraggeber zu erobern. Die Österreichische Wirtschaftskammer hat zur Unterstützung dieser Unternehmen einen eigenen Pavillon und nutzt den Salon zum Fortschreiben der vielen Erfolgsgeschichten rot-weiß-roter Aeronautik-Zulieferer.

Was tun gegen Turbulenzen?

Daneben machen aber auch Forschungsintsitutionen in Paris regelmäßig von sich Reden. So ist heuer die TU Wien bei der internationalen Airshow in Paris am Start und wird ein neues Konzept zur wirksamen Reduktion von Turbulenzen erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentieren.

Selbst leichte Turbulenzen sind eine echte Qual für Menschen, die unter Flugangst leiden. Schwerere können aber im Kabinenraum tatsächlich für reichlich Chaos und auch erhebliche Verletzungen sorgen. Auf vielen Videos sind solche Situationen im Netz dokumentiert, erst diese Woche kursierte eines, bei dem auf einem Flug der ALK Airline von Pristina nach Basel eine Flugbegleiterin mit großer Wucht an die Decke geschleudert wurde.

Selbst große, schwere Flugzeuge werden regelmäßig von heftigen Turbulenzen durchgeschüttelt. Die Erfindung eines Dissertanten an der TU Wien soll dieses Problem nun deutlich verringern. Fluggeräte sollen mit speziellen Sensoren ausgestattet werden und sobald eine Turbulenz erkannt wird, kann man mit Hilfe einer ausgeklügelten Regelungstechnik wirksam gegensteuern. Simulationen und Flugexperimente haben gezeigt, dass die Stabilität der Flugbahn und somit der Komfort der Passagiere erheblich verbessert werden kann.

Noch bessere Ergebnisse könnte man in Zukunft auch durch neuartige Flügelkonstruktionen erzielen, die ihre Geometrie verändern und an die Turbulenzen anpassen können – ganz ähnlich den Flügeln von Vögeln. Diese neue Steuerungstechnik zur Lösung von Turbulenzproblemen wird nun auf einer der wichtigsten Luftfahrtmessen, dem Pariser Aérosalon erstmals dem Fachpublikum öffentlich präsentiert.

Ausgleichen statt ausweichen

Heute versucht man, Turbulenzen vorherzusagen und besonders turbulente Luftregionen zu umfliegen. Das kostet Zeit, Geld und Treibstoff. In Zukunft soll es möglich sein, Turbulenzen direkt zu durchfliegen, ohne schwere Erschütterungen zu erleiden – und zwar mit den Flugzeugen, die es heute bereits gibt. Wenn man nämlich ihre Flügelklappen auf die richtige Weise ansteuert, kann man die Auswirkung von Turbulenzen drastisch reduzieren.

„Zunächst werden in Fühlern vor dem Flugzeug Sensoren eingebaut, die den Luftdruck messen und dadurch Turbulenzen registrieren“, erklärt András Gálffy, Erfinder und nunmehr Assistent am Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik der TU Wien.

Turbulenzen in der Luft: Landeanflug bei atmosphärischen Turbulenzen – Visualisierung der lokalen Verteilung von Auftrieb und Luftwiderstand. © TU Wien

„Sekundenbruchteile später, wenn die Flügel in diese Luftregion gelangen, kann man mit Hilfe einer intelligenten Ansteuerung der Aktorik, die bei uns am Institut entwickelt worden ist, bereits gegensteuern“, sagt Georg Schitter, Leiter der Forschungsgruppe für intelligente mechatronische Systeme.

Kleine, genau der Turbulenz entgegenwirkende Schwingungsbewegungen der Flügelklappen genügen, um den Auftrieb zu variieren und damit die Schwingungen des Flugzeugs deutlich zu dämpfen. „Man kann sich das so vorstellen wie bei geräuschunterdrückenden Kopfhörern mit noise cancelling: die Störungen, die von außen auf das System einwirken, werden genau gegengleich erzeugt und heben sich insgesamt auf. Das Ergebnis: ein turbulenzfreier Flug“, erklärt András Gálffy.

Durch Simulationsrechnungen und unbemannte Testflüge konnte man zeigen, dass sich die Störeffekte durch Turbulenzen mit der neuen Technik um über 80 Prozent verringern lassen. Die neue Methode wurde bereits zum Patent angemeldet. Nun soll durch Tests an bemannten Flugzeugen gezeigt werden, dass sich die Ergebnisse auf die kommerzielle Luftfahrt übertragen lassen.

Besonders interessant ist die Technik auch für senkrecht startende Fluggeräte – dort wirken der vertikale Schub und die neue Auftriebsregelung in dieselbe Richtung, sodass sich eine besonders gute Dämpfung ergibt.

Das Prinzip Vogelflügel

Noch besser könnte man die Auswirkung von Turbulenzen abfedern, wenn man noch drastischere Möglichkeiten hätte, steuernd in die Aerodynamik der Flügel einzugreifen. Das soll bei neuen Flugzeugtypen gelingen, indem man speziell adaptive Elemente in die Flügel einbaut.

„Wenn man auf kurzer Zeitskala nicht nur die Flügelklappen ansprechen, sondern sogar die Geometrie des Flügels verändern könnte wäre unsere Methode noch einmal deutlich wirkungsvoller“, sagt András Gálffy. „Das streben wir nun mit adaptiven Flügeln an, mit sogenannten Morphing Wings, die Vogelflügeln nachempfunden sind.“ Weitere Forschung dazu ist bereits geplant.

Neben Know-how des Institutes für Automatisierungs- und Regelungstechnik werden auch Innovationen aus vier weiteren Instituten aus drei Fakultäten der TU Wien sowie Serviceangebote der Technischen Versuchs- und Forschungsanstalt, die gemeinsam von TU Wien und dem TÜV Austria betrieben wird, der internationalen Luftfahrtindustrie vorgestellt:

• Getriebe Know-how und ein neuartiger Antrieb für Drehflügler mit variablen Rotordrehzahlen – konform mit den Sicherheitsvorschriften von EASA und FAA
• Bearbeitung für höchste Qualität in der Luftfahrt: verbesserte vibrationsunterstützte Bearbeitung (VAM), deterministisches Oberflächenhämmern (MHP), hochqualitative Bearbeitung von CFK-Bauteilen, Stacks und Inconel
• Prüfung und Inspektion von Flugzeugbauteilen in TU-eigenen Labors sowie durch die TVFA und in Kooperation mit dem TÜV Austria: Mechanische Komponenten unter realen Belastungen, großes EMV-Prüflabor und Prüffeld
• Multiphysikalische Simulationssoftware NGSolve für komplexe Geometrien und Effekte in der Luftfahrttechnik – leicht in den bestehenden Workflow integrierbar
• Hochleistungspolymere, die bis 650 °C hochstabil sind, auf umweltfreundlich hergestellten Polyimiden basieren und besonders geringes Gewicht aufweisen – was sie prädestiniert für vielfältigen Einsatz in der Luft- und Raumfahrt.

SERVICE: Die neue Flugzeug-Steuerungstechnik ist bei der Airshow in Paris, der SIAE, vom 17. bis 23. Juni, in Halle 4, auf Stand G17 zu sehen

INFObox: Das BMVIT fördert eine verbesserte Einbindung Österreichs in die internationalen Flugverkehrsnetze, unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Interessen der Luftverkehrswirtschaft. Take Off ist das österreichische FTI-Förderungsprogramm für die Luftfahrt und Hauptumsetzungsinstrument der Maßnahmen aus der FTI-Strategie für Luftfahrt 2020 Plus. Zwischen 2015 und 2020 wird das BMVIT über kooperative Forschungsprojekte mehr als 40 Millionen Euro in österreichische Luftfahrtprojekte investieren – seit Beginn der 2000er Jahre insgesamt mehr als 400 Millionen Euro. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Konsumentenschutz, welcher über die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte (apf) sichergestellt wird.