Kategorie Innovation & Technologie - 18. Juli 2019

Weltraumarchitektur: Von Moon-Villages & Gärtnern im All

Die Wiener Weltraumarchitektin Sandra Häuplik-Meusburger denkt Projekte neu: Das Bauland auf dem Erdtrabanten unterliegt anderen Bedingungen als hier unten auf der Erde

Der Rover hat soeben den Mooncampus verlassen. In einer Stunde werden die Geologen den Rand des Shackleton-Kraters erreicht haben, wo sie Regolith-Staub einsammeln und zur chemischen Auswertung mitnehmen werden. Während der gesamten Mission werden sie in regelmäßiger Sprechverbindung mit der Mission-Control stehen.

Das Forschungsmodul Sundial Habitat folgt dem Sonnenverlauf. © TU Wien

Diese befindet sich direkt unter der Kuppelschale, die im 3D-Druckverfahren aus Mondgestein hergestellt wurde und die die Kommandozentrale vor Weltraumstrahlung schützen soll. Doch der eigentliche Mooncampus, erklären Baris Dogan und Iulia Oblitcova, die das fiktive, aber detailliert durchdachte Projekt im Rahmen eines Mondsemesters an der TU Wien entworfen haben, befindet sich unterirdisch und umfasst auf insgesamt vier Ebenen Labore, Werkstätten und Wohnräume für bis zu 20 Wissenschafter.

Hier sollen die Astronauten mehrwöchige Trainings und Auffrischungskurse über sich ergehen lassen und sich auf diese Weise nach und nach an die neuen Gegebenheiten auf dem Erdtrabanten gewöhnen.

„Wenn sich die Studierenden entschließen, ihr Projekt unter der Oberfläche des Mondes anzusiedeln“, sagt Sandra Häuplik-Meusburger, „können wir dann wirklich noch von unterirdischen Systemen sprechen? Oder müssten wir diese Form der Behausung nicht viel eher als untermondische Architektur bezeichnen?“ Am Mond ist eben alles ein bisschen anders. Und das bezieht sich nicht nur auf physikalische Aspekte wie etwa die deutlich geringere Schwerkraft und die starke, ungeschützt einwirkende Strahlung, sondern auch auf technische, materielle und vor allem logistische Fragen: Wie können wir auf dem Mond Häuser bauen?

Architektur unter anderem Blickwinkel

Häuplik-Meusburger ist passionierte Weltraumarchitektin. 2011 interviewte sie neun Raumfahrer und analysierte insgesamt sechs Stationen – Apollo, Saljut, Skylab, Spaceshuttle, MIR und ISS – in Bezug auf die Lebensbedingungen außerhalb der Erdatmosphäre. Ihre Forschungsergebnisse sammelte sie in einem 300-seitigen Buch unter dem Titel Architecture for Astronauts. Heute arbeitet sie als Dozentin an der TU Wien und vermittelt Architekturwissen unter einem etwas anderen Blickwinkel.

Moon-Village: „Das Grundgerüst eines Dorfs, in dem Menschen zusammen leben und arbeiten.“ © Baris Dogan/Iulia Oblitcova/TU Wien

Die von ihr betreuten Mondprojekte sind nicht nur eine Reaktion auf das 50-Jahre-Jubiläum der Mondlandung, sondern beziehen sich auch auf eine dezidierte Vision der Europäischen Weltraumorganisation ESA. „Alle sprechen von der Reise zum Mars, und das ist definitiv der nächste große Schritt“, sagt ESA-Generaldirektor Jan Wörner. „Doch wir müssen erst wieder zum Mond, um zu lernen und bessere Technologien zu entwickeln. Kein Mensch hat je die Rückseite des Mondes besucht.

Und noch nie ist irgendwer in seine Polargebiete vorgedrungen, wo unbemannte Sonden vor einigen Jahren Wassereis im Boden entdeckt haben. All das gilt es zu erforschen. Erst danach können wir weiter zum Mars.“

2016 formulierte Wörner erstmals die Idee, ein Moon-Village zu errichten. Dieses könnte nicht nur als Forschungsstation dienen, sondern auch als Zwischenstation für spätere Reisen zum Mars. „Unter Moon-Village stelle ich mir aber keine Häuser, Straßen oder Kirchen vor“, so Wörner. „Ich denke dabei eher an das Grundgerüst eines Dorfs, in dem Menschen zusammen leben und arbeiten.“

Im internationalen und interglobalen Moon-Village, so der Plan, sollen Know-how und Kompetenzen verschiedener Weltraumnationen wie etwa China, Russland, Indien, USA und ESA bewusst gebündelt werden. Zudem könnten die Protagonisten auf dieser permanenten Mondbasis in ganz unterschiedlichen Feldern aktiv sein – in Wissenschaft und Grundlagenforschung, aber auch im kommerziellen Bereich, etwa im Weltraumtourismus und in der Gewinnung von Rohstoffen.

Lebensmittelversorgung

Ein wichtiges Thema auf dem Mond ist die Grundversorgung mit Energie und Nahrungsmitteln. Alexander Garber und Katharina Lehr-Splawinksi haben ein Food Research Lab entworfen, in dem der Anbau von Nahrungsmitteln erforscht und praktiziert werden soll.

Food Research Lab: Erforschung des Nahrungsmittelanbaus im kosmischen Umfeld. © TU Wien

Die ringförmige Konstruktion, die aus addierbaren Faltmodulen sowie aus aufblasbaren Unterkünften, sogenannten Inflatables, besteht, ist zugleich die Antwort auf eines der größten Probleme der Mondarchitektur – des Transports. Im komprimierten Zustand sollen die einzelnen Elemente in einen Raketenkopf passen.

Günes Aydar, Emirhan Veyseloglu und Gözde Yilmaz hingegen haben sich mit solarer Energiegewinnung beschäftigt und analysiert, welche Teile des Mondes am häufigsten und stärksten von der Sonne beschienen werden. Ihr mobiles Forschungsmodul Sundial Habitat ist so konzipiert, dass es in konzentrischen Bewegungen dem Sonnenverlauf über Stein und Geröll folgen und sich autark mit Energie versorgen soll.

Leuchtende Städte im Himmel

„Natürlich ist das alles Zukunftsmusik, aber diese Zukunft wird nicht erst übermorgen eintreten“, meint Sandra Häuplik-Meusburger. „Daher müssen wir schon heute das Selbstverständliche unserer Erde verlassen und lernen, uns auf neue, ungewohnte Rahmenbedingungen einzulassen. Bevor wir den Mond besiedeln, müssen wir Fragen der Wasser- und Energieversorgung, des Materialtransports und vor allem des außerirdischen Bauens beantworten. Das sind die ersten Schritte dazu.“

Die Space-Architektin zögert ein wenig. Und spricht am Ende über Kindermärchen und Kunstgeschichte. „Fakt ist: Mit den ersten Moon-Villages wird die Dunkelheit des Mondes für immer verschwunden sein. Dann werden wir auch bei Neumond leuchtende Städte und Dörfer im Himmel sehen. Wollen wir das?“

Wojciech Czaja/DerStandard

INFObox: Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) investiert als Weltraumministerium jährlich rund 70 Millionen Euro in den Weltraumsektor. Unter Einrechnung der EU-Flagschiffprogramme Copernicus, Galileo/EGNOS und H2020 liegt Österreichs Beitrag bei etwa 100 Millionen Euro pro Jahr. Österreich finanziert Programme der ESA mit und ermöglicht österreichischen Betrieben so, sich für Aufträge im Rahmen der ESA-Missionen zu bewerben.