Kategorie Innovation & Technologie - 4. Juni 2015

Zukunftsforscher: „Jeder könnte zum Produzenten werden“

STANDARD: Das Schlagwort Industrie 4.0 bezeichnet die vernetzte Fertigung in intelligenten Fabriken. Wie sieht Ihre Vision dieser neuen industriellen Revolution aus?

Klaus Kofler: Industrie 4.0 ist kein Konstrukt der Zukunftsforscher, sondern der Industrie und der öffentlichen Hand, um Wachstum und Effizienz anzukurbeln und ressourcenschonender zu produzieren. Es ist aber wichtig, dass diese Diskussion nicht nur auf der technologischen Ebene geführt wird. Individualität wird in der Gestaltung unseres Lebens – wie wir arbeiten und konsumieren – immer wichtiger. Dieses Bedürfnis kann ich nicht mehr mit den bisherigen Wirtschaftsstrukturen erfüllen. Die Veränderungen sollte man ganzheitlich sehen und Faktoren wie Energie, Sicherheit, Bildung und politische Konzepte miteinbeziehen.

STANDARD: Welche Eckpunkte der Entwicklung sind auszumachen?

Kofler: Industrie 4.0 ist die logische Weiterentwicklung dessen, was vor 25 Jahren mit dem Internet begann. Was folgt, ist, dass wir alle Komponenten, die in Zusammenhang mit der Produktion von Gütern stehen, vernetzen. So wie wir mit dem Internet, die Art, wie wir mit Information umgehen, grundlegend verändert haben, wird sich die Produktion ändern. Daraus resultiert, dass wir uns einer totalen Vernetzung von Mensch und Maschine unterziehen, die wir nicht mehr rückgängig machen können.

STANDARD: Wie sieht die Vernetzung aus?

Kofler: Wenn man die Entwicklung der Sensorik betrachtet, dann hatten wir 2007 in etwa zehn Millionen Sensoren in Gerätschaften verbaut, die direkt mit dem Internet verbunden sind. 2015 liegt diese Zahl bei 3,5 Milliarden, und 2030 wird sie laut Prognosen bei 100 Billionen liegen. Wir werden die Komponente Maschine als allgegenwärtigen Bestandteil ins Leben integrieren. Bisher spielte sich Wirtschaft zwischen Business und Consumer ab. Man kennt B2B und B2C. Jetzt kommt mit den Maschinen eine dritte Komponente dazu: Es ist spannend, was Consumer-to-Machine bedeuten kann. Jeder könnte zum Produzenten werden, indem er seine Ideen aufbereitet, freie Kapazitäten in Fabriken mietet und Produkte nach individuellen Vorstellungen herstellt. Der 3-D-Druck zeigt, wohin es geht.

STANDARD: Was steht noch im Weg?

Kofler: Im Bereich der Energie gibt es etwa noch große Probleme. Die Energielobbys wehren sich noch massiv gegen die Dezentralisierung der Energieversorgung. Es gibt Lichtblicke, etwa dass in Europa die Trennung zwischen Energietransport und Einspeisung durchgesetzt wurde. Visionär gedacht könnte ein Geschäftsmodell der Zukunft so aussehen, dass Menschen Güter mithilfe selbstgenerierter Energie produzieren, sie global über Webseiten verkaufen und per führerlose Fahrzeuge – siehe Googles selbstfahrendes Auto – zum Kunden schicken.

STANDARD: Wie kann man die Menschen charakterisieren, die in der neuen Produktionswelt bestehen?

Kofler: Der US-Soziologe Paul Hay hat eine Strömung charakterisiert, die sich ab 1990 herausgebildet hat. Er nennt sie die Kulturell-Kreativen. Soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung sind ihnen wichtig, Lebensqualität spielt eine große Rolle. Sie lassen neue Lebens- und Arbeitsmodelle entstehen. Das sind keine Spinner, sondern Problemlöser, die langsam in die Führungsebenen vorrücken. All die Webportale, wo man Arbeitgeber, Restaurants oder Reiseveranstalter bewerten kann, sind ein erstes Produkt dieser Entwicklung. Es geht darum, nicht mehr alles zu schlucken, sondern die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Man braucht sich nur die vielen Projekte von Start-ups anzusehen.

STANDARD: Welche Rahmenbedingungen brauchen sie?

Kofler: Die Frage holt die Visionen wieder auf den Boden der Realität. Welche Bedingungen die Staaten schaffen, ist ein Schlüsselfaktor. Die Menge an Reglementierungen etwa bei freien Berufen in Deutschland und Österreich ist nicht mehr zeitgemäß. Auch besserer Zugang zu Investoren ist sehr wichtig.

STANDARD: Die Angst, dass Roboter Jobs kosten, geht um. Berechtigt?

Kofler: Bereits die Entwicklung der IT hat letzten Endes mehr Arbeitsplätze gebracht, als sie gekostet hat. So wie sich die Technologie in den letzten 20 Jahren entwickelt hat, so hat sich auch unsere Gesellschaft verändert. Die Entwicklung wird höhere Bildungslevel und neue Bildungsansätze mit sich bringen. Die disziplinären Denkansätze der Wissensgesellschaft werden sich hin zu inter- und multidisziplinären Ansätzen entwickeln müssen.

STANDARD: Zweifellos wird es aber Verlierer der Entwicklung geben. Wie kann man negative Auswirkungen abschwächen?

Kofler: Es ist nicht die Frage, ob sich diese neue Arbeitswelt durchsetzen wird, sondern wer dabei sein wird. Sicher ist, dass für viele die Entwicklung zu komplex, zu kalt, zu undurchschaubar sein wird. Wenn die Politik nicht Sicherheit und Perspektiven bereitstellt, werden wir mit einem großen gesellschaftlichen Problem konfrontiert sein. Ein Modell könnte das bedingungslose Grundeinkommen sein. Oder dass Maschinen und Güter stärker besteuert werden. Je früher wir auf den Zug aufspringen, desto eher können wir mitgestalten. (Alois Pumhösel, 30.5.2015)


Klaus Kofler (49) beschäftigt sich als Zukunftsforscher mit gesellschaftlicher Innovation und den Auswirkungen auf Lebens- und Arbeitsmodelle. Er ist Gründer des Expertennetzwerks Trends & Wege. Kofler ist Keynote-Speaker beim Forum Produktion 2015 in Wien. Die Veranstaltung von Verkehrsministerium und Forschungsförderungsgesellschaft FFG widmet sich am 27. und 28. Mai dem Thema Industrie 4.0.