Kategorie Mobilität - 20. März 2019

Seidenstraße & Satelliten: Kongresse in Wien zeigen die Zukunft der Bahn

Was haben irdische Mobilität und Weltraumforschung gemein? Sieht man von den revolutionären Gefährten wie den Mond- und Mars-Rovern ab, ist es vor allem die moderne Satellitentechnik, die unser Mobilitäts- und Transsportsystem auf der Erde grundlegend verbessern soll.

Fernsehen, Telekommunikation oder Wettervorhersagen sind ohne Satelliten absolut undenkbar geworden. Sehr viel präzisere und schnellere Informationen brauchen Anwendungen zum Automatisierten Fahren, aber auch Leitsysteme im Flugbetrieb. Wie sieht es damit auf der Schiene aus? Wie können Satellitensignale dort für einen optimalen Fluß und verbesserten Service sorgen? Auch im Bahnsektor sollen mit diesen neuen Möglichkeiten Unfälle, Verspätungen und Umwege vermieden werden können.

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Im Palais Wertheim in Wien wurde bei der Konferenz Space for Innovation in Rail nun der optimale Einsatz von globalen Navigationssatellitensystemen (englisch: global navigation satellite system oder kurz GNSS) im Bahnbereich, insbesondere bei Schienenfahrzeugen und bei Verkehrsmanagementsystemen und –diensten diskutiert. Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) und wurde gemeinsam von der Agentur für das Europäische GNSS (GSA), dem Unternehmen Shift2rail (S2R JU) und der Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) organisiert und bot die Gelegenheit, sich über die Digitalisierung im Eisenbahnsektor auszutauschen und den Einsatz speziell des europäischen Galileo-Systems für die Schiene in den Mittelpunkt zu stellen.

Galileo für die Schiene

An der hochkarätig besetzten Konferenz nahmen Vertreter der Europäischen Kommission, Matthias Petschke, Direktor für die EU Navigationssysteme Galileo, und Elisabeth Werner, Direktorin für Landverkehr, sowie der Exekutivdirektor der Europäischen Agentur für globale Satellitennavigationssystem GSA, Carlo Des Dorides, sowie der Exekutivdirektor der Europäischen Technologie-Initiative Shift2Rail und jener der Europäischen Eisenbahnagentur, Carlo Borghini und Josef Doppelbauer, teil.

 

In den letzten Jahren haben die europäischen Bahnunternehmen – einschließlich Industrie, Dienstleistern sowie Forschung und Entwicklung – eine Reihe von Innovationen zur Steigerung der Kosteneffizienz, zur Verbesserung des Services für Fahrgäste und zur Verbesserung der Sicherheit des Schienenverkehrs entwickelt.

„Weltraumtechnologien und -anwendungen sind für Österreich und seine Gesellschaft genauso wichtig wie bahnbrechend,“ sagte Verkehrsminister Norbert Hofer im Vorfeld der Konferenz. Mit der fast vollständigen, bereits aber jetzt schon voll einsatzfähigen Flotte an Galileo-Satelliten soll es möglich sein, auch den Schienenverkehr effizienter und sicherer zu gestalten. Das zeigten auch erste Ergebnisse einiger Projekte, an denen die ÖBB beteiligt ist, und in denen der möglichst beste Einsatz von Galileo-Systemen getestet wird. „Es ist ein zentrales Ziel des Ministeriums, den Einsatz von weltraumgestützten Lösungen zur Verbesserung unseres täglichen Lebens weiter zu stärken“, so Hofer weiter.

Alle Infos ständig in Echtzeit

Auch EGNOS, das European Geostationary Navigation Overlay Service (EGNOS) ist als europäisches Erweiterungssystem zur Satellitennavigation erfolgreich im Einsatz. Es steigert regional begrenzt auf Europa die Positionsgenauigkeit von GNSS und ist voll kompatibel zu GPS, dem amerikanischen WAAS, dem japanischen MSAS und dem indischen GAGAN, die ihre Korrekturdaten ebenfalls über Satelliten verteilen.

Das zivile europäische Navigationssystem Galileo steht für höhere Präzision, eine bessere Zuverlässigkeit der Positionsinformation und höhere Signalverfügbarkeit und spielt damit auch bei Eisenbahntechnik, besonders bei sicherheitsrelevanten Anwendungen, wie der Positionsermittlung von Zügen für Gleisfreimeldeanlagen eine immer wichtigere Rolle.

Von der optimalen Nutzung der Strecke, des rollenden Materials und vom Einsatz der Zugbesatzungen bis hin zur automatisierten Wartung der Infrastruktur ergeben sich zahlreiche weitere denkbare Vorteile. Neben dieser Art der Verkehrskontrolle kann das Positioning im Netz von großem Nutzen für weitere Anwendungen der Passagiere sein: Erweiterte Kundenservices, beispielsweise mit den ständigen Information der Passagiere über Ankunftszeit von Zügen in Echtzeit, vor und während der Reise, erweiterte Ticket-, Reservierungs- und Zahlungssysteme, auch angepasst an die Bedürfnisse behinderter und mobilitätseingschränkter Menschen bis hin zum Gepäck- und Frachtmanagement. Allesamt äußerst sinnvolle Ergänzungen für den Bahnbetrieb.

Die neue Seidenstraße

Bei einem weiteren Kongress in Wien ging es um die Fragen, wie das Verkehrssystem der Zukunft aussehen muss, damit es zugleich eine wachsende Industrie unterstützt und wie unsere Mobilität und vor allem der Gütertransport nachhaltig gestaltet werden kann? Ein riesiges Infrastrukturprojekt steht dazu seit einiger Zeit in den Startlöchern: Der Ausbau der russischen Breitspurbahn Transsib bis Wien.

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Wie viel das kostet und wann es soweit sein kann wurde beim International Railway Congress 2019 in Wien diskutiert. Dieser war der Start einer Kongressreihe, die mindestens über die nächsten drei Jahre stattfinden soll. Über 500 Gäste haben sich zwei Tage lang, vorrangig zu den Chancen und Potentialen des multinationalen Eisenbahnprojekts Breitspurbahn als umweltschonendes globales Tor für den weltweiten Warenverkehr, ausgetauscht.

Dahin ist man nun wieder einen Schritt weiter gekommen: Am Rande des Kongresses wurden eine Absichtserklärung zwischen den Verkehrsministerien aus Russland, der Slowakei und Österreich zur Realisierung der Güterzugstrecke Košice – Bratislava – Wien mit einer Spurweite von 1520 mm unterzeichnet. En weiterer Schritt bei den Vorbereitungen für einen Staatsvertrag dazu zwischen den Ländern.

Mit der soll der stark wachsende Güterverkehr zwischen China und Europa zum Teil auf die Bahn verlagert werden. Derzeit endet die Transsibirische Eisenbahn mit der größeren Spurweite im Osten der Slowakei. Österreichs Regierung will diese Breitspurbahn bis in den Raum Wien verlängern.

Umweltfreundlich zwischen den Kontinenten

Tatsächlich könnten auf mehr als 8.000 km Schienennetz die asiatischen Wachstumsmärkte und Zentraleuropa enger miteinander verbunden werden. Mit einer Verlängerung der Transsib-Breitspurbahn über 400km von Košice in der Ostslowakei nach Wien wäre dieser traditionsreiche Verkehrskorridor auch ausnahmslos ohne Spurwechsel zwischen Ostasien und Österreich zu befahren. Pläne für die Verlängerung dieser Bahnstrecke bis in den Großraum Wien existieren schon länger.

Die Breitspurverlängerung samt Bau eines Terminals auf österreichischem Boden hätte enorme wirtschaftliche Chancen. Laut Studie würde die Verlängerung der Breitspurbahn vom Terminal in Košice nach Wien von der Bauphase bis zum Vollbetrieb 127.000 heimische Jobs schaffen und sichern. Zu Spitzenzeiten könnten durch Bau, Betrieb und Betriebsansiedelungen in Terminal-Nähe 9.000 Arbeitsplätze entstehen. Des Weiteren wäre eine Gesamtwertschöpfung von 15,5 Milliarden Euro bis 2054 für Österreich zu erwarten.

 

Ein möglicher Baustart für die Verlängerung der Breitspurbahn wäre im Jahr 2023. Die Neubaustrecke könnte dann zehn Jahre später im Jahr 2033 in Betrieb gehen. Das internationale Projekt würde den Containertransport nach Mitteleuropa nicht nur ökologischer gestalten, sondern ihn auch deutlich beschleunigen. Die Gütercontainer ließen sich per Schiene auf der Transsib in 10-15 Tagen in den Großraum Wien bewegen, während sie per Schiff nach Europa etwa 30 Tage benötigen.

Andreas Reichhardt, Generalsekretär des BMVIT, sieht das Memorandum nach einem ersten Seidenstraßen-Abkommen im letzten Jahr bereits als nächsten großen Erfolg im Infrastrukturbereich: „Mit dem Memorandum of Understanding zwischen Russland, der Slowakei und Österreich haben wir wieder einen großen Schritt für die Verlängerung der 1520-Bahn in die Twin-City-Region machen können.“

International Railway Congress 2019. © APA/Tanzer

Der Chef der ÖBB Holding, Mag. Andreas Matthä, konstatiert in seinem Statement zum Abschluss des Kongresses: „Die Schiene ist Bindeglied zwischen Gesellschaften und Nationen. Sie bringt Menschen und Güter in Bewegung und schafft gute Verbindungen – auch für die Neue Seidenstraßen-Initiative. Um die internationale Zusammenarbeit hier zu vertiefen und die Verbindung zwischen Österreich und Russland weiter auf Schiene zu bringen, ist der International Railway Congress wohl der beste Ausgangspunkt. Es würde mich daher sehr freuen, wenn dieser Congress auch in den kommenden Jahren zu einem Fixpunkt des Austausches der internationalen Eisenbahngemeinde in Wien werden würde.“

Auch Oleg Belozerov, Generaldirektor der Russian Railways RZD, betont, dass „dieses Projekt die Arbeit der Eisenbahnen auf ein neues Niveau heben wird.“ Es würden neue Technologien ausprobiert, um die Grenzübergänge zu beschleunigen und Rechtsfragen zu vereinheitlichen. „Wir müssen unsere Aufmerksamkeit darauf richten, dass dies so schnell wie möglich geschieht“, so Belozerov.

Die Neue Seidenstraße ist aber auch ein chinesische Megaprojekt. China möchte die alte Seidenstraße beleben und über Infrastruktur­projekte neue Handelsrouten nach Europa, Asien und Afrika schaffen. Die ehrgeizige Initiative läuft in China offziell unter dem Titel One Belt, One Road (ein Band, eine Straße) und verspricht die Ankurbelung der Wirtschaft aller beteiligten Länder. Seit 2013 versucht das Reich der Mitte damit seine Verkehrsinfrastruktur mit Europa, Afrika und den übrigen Ländern Asiens neu und besser als je zuvor zu vernetzen – der Staat will dabei offen sein für Länder, die sich in Form von Kooperationen beteiligen wollen. Acht Billionen US-Dollar (umgerechnet 6,5 Billionen Euro) sollen investiert werden.

INFObox: Österreich ist Bahnland Nummer 1 in der EU. Nicht zuletzt durch den ÖBB-Rahmenplan, der bis 2023 Investitionsmittel des Infrastrukturministeriums in Höhe von 12,9 Mrd vorsieht. Die Implementierung von GNSS-Anwendungen im Infrastruktur- und Fahrgastbereich sollen die Bahn zusätzlich verbessern. Auch dafür investiert das BMVIT als Weltraumministerium jährlich rund 70 Millionen Euro in den Weltraumsektor. Unter Einrechnung der EU-Flagschiffprogramme Copernicus, Galileo/EGNOS und H2020 liegt Österreichs Beitrag bei etwa 100 Millionen Euro pro Jahr.